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„Dieser ganze Umweltkram nervt!“

„Die gehen mir auf die Nerven mit ihrem ganzen Umweltkram!“, so der Stoßseufzer einer 70jährigen in meinem Bekanntenkreis. „Als ob wir Deutschen die Welt retten könnten.“

„Die Leute müssen viel Auto fahren, denn der Verschleiß ist nötig, sonst geht die Industrie hier zugrunde.“, sagt mir ein älterer Herr in einer Diskussion übers Autofahren.

„Dieses rotzfreche Gör soll zurück nach Schweden gehen und ihren eigenen Leuten auf die Nerven fallen!“, hörte ich neulich im Supermarkt.

Ich bin Mitte der 1970er geboren. Mitte der 1980er begann ich, mich für Umweltthemen zu interessieren. Das lag unter anderem am Beruf meines Vaters, und dass wir einen großen Teil unserer Freizeit in der Natur verbrachten. Und es lag an Wackersdorf (erinnert sich noch jemand an die Diskussionen um die Wiederaufbereitungsanlage?) und an Tschernobyl – damals wohnten wir in der Oberpfalz und wurden sogar vom Radio interviewt, wie wir Kinder und Jugendlichen uns so fühlen würden und so.

Ich bin keine Aktivistin oder würde mich selbst nicht als solche bezeichen. Aber was mich nachdenklich macht (ich könnte auch sagen, es geht mir auf die Nerven, aber das beschreibt das Gefühl nur unzureichend), ist, dass viele Jugendliche, die sich heute mit Umweltthemen beschäftigen und darüber diskutieren und nachdenken, ähnliche Themen haben wie wir damals, vor 30 Jahren.

Hat sich denn nichts geändert?

„Wir haben so viele Filter in den Autos und alles ist so sauber!“, so der ältere Herr, den ich oben schon erwähnt hatte.

Ja, das mag sein. Aber es gibt halt auch viel mehr Autos als früher, und je größer das Auto, desto mehr Kraftstoff verbraucht es. Und hier in der Gegend liebt man große Autos. Und fährt damit auch vom einen Ende des Dorfes ans andere…

Als ich sagte, es wäre schon viel gewonnen, wenn die Menschen vor jeder Autofahrt überlegen würden, ob sie wirklich nötig ist, und ob man nicht auch mit dem Rad fahren oder zu Fuß gehen könnte, kam die Antwort mit der Industrie und dem nötigen Verschleiß.

Und dann denke ich, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben. Und frage mich gleichzeitig, wie viel Zeit uns für diesen Weg bleibt.

Ich bin übrigens kein Engel. Manchmal bin ich schlicht und einfach bequem und fahre die eine oder andere kurze Strecke mit dem Auto, obwohl das Fahrrad eine Möglichkeit gewesen wäre. Für mich selbst finde ich natürlich auch tolle Ausreden, dass es zu nass oder zu kalt zum Radfahren war, oder ähnliches. Allerdings sind diese Fahrten die Ausnahme und nicht die Regel. Ich versuche einfach, in meiner kleinen Welt so viel wie möglich zu tun. Und dazu gehört auch, dass ich meine Gewohnheiten immer mal hinterfrage und mich auch von Diskussionen „nerven“ zu lassen, weil es einfach wichtig ist, dass uns nicht egal ist, wie sich unsere Welt und die Gesellschaft entwickelt.

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Filed under Landleben, Meinung

Verantwortung und Vertrauen

Ich schreibe hier kein politisches Blog. Der heutige Beitrag wird Spuren von Politik enthalten, das bringt das Thema so mit sich. Wer Beiträge zu politischen Themen sucht, wird bei meinem Freund Jens fündig, und kann mich dort auch ab und zu in den Kommentaren lesen: http://blog.jens-bertrams.de/

Genug der Vorrede.

Vergangenen Sonntag haben wir in Hessen gewählt. Oder anders gesagt, manche Menschen haben gewählt, viele sind zuhause geblieben. Ich war am Wahltag gar nicht im Lande und hatte auch die ersten Hochrechnungen nicht verfolgt, bis ich abends auf der Heimfahrt von einer Twitterfreundin gesagt bekam, ich solle am besten wieder umdrehen und nicht nach Hessen fahren, man könne ja nur noch auswandern. Hoppla, dachte ich, und schaute dann doch mal beim HR nach den ersten Zahlen.
Für mein Dorf waren die ziemlich unspektakulär, CDU vorne dran, die Grünen haben Federn gelassen, ansonsten kaum erwähnenswertes. Allerdings trat auch keine Partei aus dem rechten Spektrum fürs Gemeindeparlament an. Für den Kreistag gab es dann doch auch aus meinem Dorf einige Stimmen für die rechte Seite, und in vielen Regionen Hessens war das so und viele machten ihrer Sorge und ihrem Unmut darüber bei Twitter Luft (da ich nicht bei FB bin, kann ich dazu nichts sagen, vermute aber, dass es dort ähnlich war).

Nun bin ich natürlich über solche Ergebnisse auch nicht glücklich, aber jetzt in Panik zu geraten und die Koffer zu packen und auszuwandern käme mir nicht in den Sinn. Ich möchte weiterhin in meinem direkten Umfeld Verantwortung für mich und die Gesellschaft übernehmen. Für die Gesellschaft, in der ich leben möchte. Dazu gehört auch, nicht nur in den paar Wochen vor und nach der Wahl Interesse zu zeigen an dem, was in der Politik passiert, sondern immer wieder nachzufragen, mich zu informieren, mit meiner Meinung präsent zu sein, und mich aktiv für ein gutes Miteinander einzusetzen.

Heute morgen fuhr ich mit dem Bus zum Bahnhof. Im Bus zwei Siebzehnjährige, die ich vom Sehen aus dem Dorf kenne. Beide oft „auf Krawall gebürstet“, beide noch suchend, wo ihr Platz sein könnte. Heute ging ihr Gespräch auf einmal um das Thema Flüchtlinge, und sie schaukelten sich argumentativ gegenseitig hoch, bis zur Aussage, wenn „die Flüchtlinge kämen und Alarm machten“, dann könne man „die Kinder ja nicht mehr rauslassen“. Da ist mir der Kragen geplatzt und ich sprach sie an und sagte, dass ich diese Haltung befremdlich fände und dass ich mir wünschen würde, sie würden sich informieren, anstatt Vorurteile zu pflegen, und dass es Fakten gäbe, die ihrer Sorge entgegen stünden. Sie antworteten mir nicht, schienen mir auch nicht gerade freundlich gesonnen, aber ich konnte das einfach nicht stehenlassen. Immerhin gehören die beiden zu einer Gruppe Menschen, die später mal wählen und Verantwortung übernehmen können.

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Pflichtbewusstsein und Verantwortung groß geschrieben wurde. So groß, dass ich mir manchmal gewünscht habe, es wäre etwas weniger gewesen. Man kann sich leicht selbst verlieren in dieser Welt, aber ich bin da für mich auf einem guten Weg. Was ich außerdem mitgenommen habe, ist, dass es mit Verantwortungsgefühl alleine auch nicht geht. Ich brauche Vertrauen. Vertrauen, das ich anderen entgegen bringe, Vertrauen, das andere in mich setzen, Vertrauen darauf, dass ich mit dem, was ich sage und tue, einen Eindruck hinterlasse in der Welt und dass es eben nicht egal ist, ob ich wählen gehe oder nicht, ob ich gegen Strömungen in der Gesellschaft aufstehe oder nicht.
Dieses Vertrauen habe ich immer noch. Ja, manchmal bekomme ich verbal eins aufs Dach, weil ich mich wieder aus dem Fenster gelehnt habe, weil ich etwas gesagt habe in einer Situation, in der alle anderen geschwiegen haben, weil ich unbequem war und mich nicht herumschubsen ließ. Das ist aber okay, damit kann ich leben.

Ich halte mich nicht für einen politischen Menschen. Ich bin kein Mitglied einer Partei. Sieht man mal von der Zeit in London ab, als ich enge Kontakte zur Socialist Workers Party hatte, diskutierte und Flugblätter schrieb und auf Demonstrationen ging und einmal nur knapp einer Verhaftung entkam, aber das ist eine andere Geschichte.
Wahlen ändern nichts, sagen manche. Und einige sagen jetzt nach den Kommunalwahlen in Hessen, dass wir uns auf einem schlechten Weg befinden, dass sich die Geschichte wiederholt, dass die Nichtwähler irgendwie schuld seien, oder doch die etablierten Parteien, und überhaupt.

Es mögen sich schlauere Menschen als ich den Kopf zerbrechen über „Schuld“ – sofern es die in diesem Zusammenhang überhaupt gibt. Für den Alltag bringt das aus meiner Sicht auch wenig. Was aber etwas bringt, ist, offen zu sein und aufmerksam für das, was passiert, und bei dem, was einem nicht gefällt und was wegführt von Freiheit und Akzeptanz, dagegen zu argumentieren und präsent zu sein. Ich kann andere Leute nicht ändern. Die sind, wie sie sind. Aber ich kann mich entscheiden, wie ich sein möchte und wie ich anderen begegnen möchte. Wenn ich Toleranz und Offenheit will, suche ich sie nicht bei anderen, sondern übernehme für mich selbst und mein Verhalten Verantwortung und handle entsprechend.

Falls bei Ihnen/Euch, liebe Leserinnen und Leser, der Eindruck entstanden sein sollte, dass mir das alles immer gut gelingt: nein, ich habe auch Tage, an denen ich alles andere als tolerant bin, an denen ich auch mal unhöflich bin oder schlicht doof, und ich bin die Letzte, die sagt, dass das alles einfach ist.
Aber ich bin Optimistin und mein Vertrauensspeicher ist noch lange nicht leer.

Nicht zuletzt deshalb, weil ich immer wieder erlebe, dass es auch andere Menschen gibt, denen es nicht egal ist, was passiert und wie wir miteinander umgehen.

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