Nachbarschaft

An der Ostküste der USA tobte dieser Tage ein heftiger Sturm, der großen Sachschaden anrichtete und auch Menschenleben forderte. Überall in den Nachrichten Bilder von überfluteten Straßen, von Menschen, die evakuiert werden, einige Heldengeschichten, und viel Sensationsgier.
Gestern hörte ich jemanden sagen, das sei alles ja sehr tragisch, aber „wir in Mitteleuropa“ seien ja ungefährdet, es gäbe bei uns ja weder Sturmfluten noch Wirbelstürme und überhaupt könnten wir den anderen ja noch beibringen, wie man standfeste Häuser baue.
Ich denke nicht, dass wir uns über diejenigen stellen sollten, die gerade alles verloren haben. Niemand ist vor Unwettern und anderen Naturereignissen sicher. Und auch hier lohnt es sich, vorbereitet zu sein.

Häufig geht allerdings diese Vorbereitung mit großer Technikgläubigkeit einher. Dass man per sms informiert werden müsse, dass die Behörden über Twitter und andere Netzwerke Evakuierungsanweisungen geben müssten etc. Es gibt ja auch Versuche wie z.B. „Katwarn“, wo man sich eintragen kann und dann eine sms bekommt, wenn etwas los ist. Aber da man nur die Informationen für seinen Wohnort und nicht für den aktuellen Aufenthaltsort bekommt, sind solche Systeme ebenso störanfällig wie alles andere.
Was mir in der Diskussion fehlt, ist die menschliche Komponente. Und zwar die menschliche Komponente in Form von Nachbarn, die ja die meisten von uns haben, auch in der Stadt, nicht nur in der dörflichen Gemeinschaft.

Wer kennt denn seine Nachbarn tatsächlich? Wer weiß, wo diejenigen wohnen, die im Notfall helfen können, und wo diejenigen sind, die im Notfall Hilfe brauchen?
Wenn ich weiß, dass in meinem Haus jemand wohnt, der nicht hören kann, dann kann ich mich darum kümmern, dass er trotzdem informiert wird, wenn etwas passiert ist. Wenn ich weiß, dass meine Nachbarin nicht gut sieht, dann kann ich mich darum kümmern, dass ich sie mitnehme, wenn wir das Haus verlassen müssen. Wenn ich weiß, dass gegenüber ein Alleinerziehender mit zwei Kindern ist, dann kann ich auch da meine Hilfe anbieten.
Meine Nachbarn wissen, dass es bei uns Kerzen gibt. Und einen Gaskocher. Und ein Stromaggregat. Und einen großen Erste-Hilfe-Kasten. Und noch viel wichtiger ist es, dass wir voneinander wissen, dass wir im Notfall füreinander da sind. Egal, ob das jetzt der große Stromausfall ist, der Schneesturm oder einfach nur die geplatzte Wasserleitung im Bad.

Für Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft unter Nachbarn braucht es keine Behörde, keinen Social-Network-Alarmknopf und keine Aufforderung „von oben“. Das braucht einfach nur Menschen, die sich darauf einlassen. Und ich denke, dass das mindestens genauso viel wert ist wie technische Hilfsmittel. Wenn nicht sogar mehr.

1 Comment

Filed under Sammelsurium

One Response to Nachbarschaft

  1. Ich stimme dir voll zu. Wo ich aufgewachsen bin, da kannten wir unsere Nachbarn seit 30, 40 oder 50 Jahren, hier wo ich jetzt lebe ist das anders. Eine Warnung allein würde mir zum Beispiel nicht viel nützen. Ich habe mich nach Fukushima gefragt, was wohl aus mir als blindem Menschen, und auch aus meiner Familie werden würde, wenn wir wegen einer Atomkatastrophe evakuiert werden müssten.

    Netzwerken sollte man eben nicht nur virtuell. Das virtuelle Netzwerk sollte höchstens eine Ergänzung zum eigentlich vorrangigen persönlichen Netzwerk sein.

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