Selbstbild, Fremdbild und die Waage

Wenn ich vor einem Zeitschriftenregal stehe und die „Frauenzeitschriften“ anschaue, hat gefühlt jedes zweite Magazin auf der Titelseite einen Hinweis auf eine Diät. Doch keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, ich habe nicht vor, hier meine besten Diättipps zu posten – ich hätte gar keine. Zum einen lese ich „Frauenzeitschriften“ sehr selten, weil mich die meisten Themen darin gar nicht interessieren, und zum anderen stehe ich Diäten eher kritisch gegenüber. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen, vor allem Frauen, sich zu schnell einreden (lassen), sie seien zu dick und müssten unbedingt etwas ändern, um schön/liebenswert/begehrenswert zu sein.

Ich bin selbst nicht (mehr) schlank. Ich habe, wie man in meiner bayrischen Heimat sagen würde, ordentlich „Holz vor der Hüttn“, breite Schultern und auch ein bisserl Knuddelfett an Bauch und Hüften. Aber ich mag mich, ich fühle mich wohl, und ich bin gesund.
Ich koche und esse gerne, und ich freue mich, wenn ich zusammen mit anderen etwas Leckeres genießen kann.

Vor ein paar Tagen schlugen ein paar Mitarbeiterinnen vor, wir sollten doch einmal zusammen zum Mittagessen gehen. Der Vorschlag wurde von fast allen begeistert aufgenommen. Nur die Schlankste in der Runde sagte, sie könne nicht mitkommen, denn sie sei auf Diät. Bereitwillig gab sie über ihr aktuelles Gewicht Auskunft: 57kg. Sie ist 1,75m groß.
Auf die Frage, wie viel und vor allem wo sie denn etwas abnehmen wolle, sagte sie, sie dürfe maximal 54kg wiegen, alles andere sei „nicht schön“.

Wir konnten sie nicht überreden, uns zum Essen zu begleiten.

Ich möchte das nicht bewerten, aber es fällt mir schwer. Ich wünsche ihr jemanden, der sie in den Arm nimmt und ihr sagt, dass sie schön ist und sich schön fühlen darf, auch mit 57kg.

Wir werden alle beeinflusst von dem, was wir sehen und hören. Vor gut zwölf Jahren sagte mir mal ein Mann, ich sei ja „ganz schön moppelig“. Ich entgegnete entrüstet, ich hätte einen BMI von 23, das sei doch prima. Er sagte, „moppelig bist du trotzdem“. Das hat mich für ein paar Minuten zweifeln lassen.

Aber dann gewann mein Selbstbewusstsein die Oberhand und streckte ihm heimlich die Zunge raus.

Meine Waage blinkt mir einmal pro Woche ein paar Zahlen entgegen. Ich nehme diese zur Kenntnis, aber sie bestimmen mich nicht. So lange ich stundenlang Holz spalten und stapeln kann, ohne außer Atem zu geraten, so lange ich mit meiner Nichte und meinem Neffen herumtollen kann, ohne dass mir alles weh tut, so lange ich mit dem Notfallrucksack auf dem Rücken zu einem Patienten rennen kann, ohne mich daneben legen zu müssen, so lange darf mir meine Waage anzeigen, was sie mag. Und wenn ich keine Lust habe, steige ich nicht einmal drauf.

Ich wünsche jeder und jedem, sich schön finden zu können, und wenn das nicht der Fall ist, Hilfe und Verständnis zu bekommen.

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