Es kommt selten vor, dass ich auf diesem Blog etwas zum politischen Tagesgeschehen schreibe. Auch meinen Twitteraccount nutze ich kaum für entsprechende Statements. Es ist nicht so, dass ich nichts zu sagen hätte, aber das tue ich lieber im direkten Gespräch. Und ich scheue dabei auch keine Konfrontation und bin sehr froh, dass ich in meinem Freundeskreis Menschen habe, deren politische Richtung zwar teilweise anders ist als meine, die einen offenen Gedankenaustausch aber ebenso schätzen wie ich. Ich habe da schon viel gelernt (danke an dieser Stelle vor allem an Peter und Jens).
Was mich im Zusammenhang mit den Wahlen am vergangenen Sonntag sehr bewegt hat, war nicht unbedingt das Abschneiden einer gewissen Partei, deren Umtriebe ich sehr kritisch betrachte. Irgendjemand spülte eine Grafik aus der Tagesschau in meine Twittertimeline, aus der hervorging, dass mehr als zwei Drittel der befragten Wähler in einem Bundesland der Meinung waren, man dürfe ja „nichts mehr sagen“ und sei insgesamt in seiner Meinungsfreiheit beschnitten.
Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung? Welche Erwartungshaltung haben diese Menschen? Bedeutet Meinungsfreiheit für sie, dass man keinen Widerspruch zu seinen Aussagen bekommt? Dass alle die eigene Meinung teilen? Dass auf lautes Schreien und Parolen rufen immer tosender Applaus kommt?
Mir fehlt dafür eine Erklärung. Ja, ich weiß, dass ich in einer priviligierten Situation bin. Ich schreibe hier auf einem funktionierenden Rechner, zuhause am Schreibtisch sitzend. Ich muss keine Angst haben, dass jeden Moment irgendwo eine Rakete einschlägt oder eine Bombe explodiert. Es gibt zuverlässig Strom und fließendes Wasser und ich besitze nicht nur ein Sparschwein, sondern es ist sogar etwas drin.
Ich möchte Menschen gerne verstehen. Aber manchmal fällt mir das wirklich schwer.
Wir brauchen in unserer Gesellschaft den Widerspruch. Wir brauchen Menschen, die etwas sagen und nicht wegschauen, wenn jemand seine Vorurteile pflegt. Ich freue mich, dass so mancher tiefsitzender Alltagsrassismus und Alltagssexismus nicht mehr hingenommen wird, sondern angesprochen wird und durchaus auch deutlich verurteilt. Das ist für diejenigen, die „eigentlich ja nix gegen Ausländer haben“ oder „die Gleichberechtigung total toll finden und niemals Frauen benachteiligen würden“ und es in ihrem Verhalten und Sprachgebrauch dennoch tun, sicher unangenehm.
Unsinn reden ist nach wie vor nicht verboten.
Und ich werde, so lange mir das möglich ist, dem Unsinn die Stirn bieten. Vielleicht künftig ja auch öfter mal online und nicht nur in meinem Alltag. Aber da natürlich auch – wenn es nötig ist, mal unbequem zu sein, um für die Würde anderer einzustehen, dann bin ich gerne unbequem.
„Man darf ja nix mehr sagen“, sagen manche und sehen nicht, dass sie allein dadurch, dass sie das sagen können, eine bemerkenswerte Freiheit genießen. Dass ihnen das irgendwann klar wird, das wünsche ich mir. Und dass diese Freiheit nicht missbraucht wird, wünsche ich mir noch mehr.