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Mein „Liebesbrief“ bei Klausgesprochen

Ich fühle mich sehr geehrt, dass der wunderbare Klaus Neubauer meine Kurzgeschichte „Der Liebesbrief“ heute in seinem Podcast veröffentlicht hat.

Natürlich mochte ich den Text schon vorher, aber Klaus gibt ihm eine ganz besondere Note und ich bin so begeistert davon, dass ich es schon mehrmals angehört habe und bestimmt noch einmal hören werde.

Die brave Beamtentochter in mir mahnt schon wieder, dass ich mich nicht selbst loben soll, und ich will ja auch gar nicht mich loben, sondern den Klaus. Macht Euch am besten selbst ein Bild, oder wie auch immer man es nennt, wenn sich vor dem inneren Ohr eine Landschaft aus Klängen und Assoziationen aufbaut. Untermalt wird das Ganze von einem Klavierstück meiner geschätzten Komponistinnen-Kollegin Carlotta Ferrari, das ich kürzlich auf meinem einigermaßen frisch gestimmten Trautwein-Klavier von 1907 eingespielt habe.

Danke fürs Lesen und danke fürs Podcast-Hören, und bis bald!

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Der Regenschirm

„Man müßte einfach viel öfter miteinander reden. Geht es Ihnen nicht auch so? Manchmal gibt es Tage, da schießen einem die Gedanken geradezu spruchreif durch den Kopf, und wenn man dann Zeit hätte, sie mit jemandem zu teilen, sind sie weg. Ich glaube, wenn man sich häufiger trauen würde, Gedanken auszutauschen, würde man die nicht mehr so leicht vergessen, die man hat, wenn man gerade nicht spricht. Verstehen Sie, was ich meine? Warum sprechen die Menschen? Und warum schießen diese Talkshows wie die Pilze aus dem Boden? Und schon bin ich da, wo ich eigentlich nicht hin wollte, nämlich bei unbeabsichtigten, aber vielleicht auch unvermeidbaren Wortwiederholungen. Die Gedanken schießen einem durch den Kopf, die Pilze schießen aus dem Boden. Überhaupt wird auf dieser Welt zuviel geschossen, finden Sie nicht auch? Sie müssen schon entschuldigen, daß ich so über Sie herfalle, aber da, wo ich war, hat man normalerweise nicht soviel Verständnis für das, was gesagt werden muß. Sie meinen, das sei überall so? Vielleicht haben Sie recht. Ist es Ihnen denn auch schon so gegangen? Therapeuten zum Beispiel heucheln Verständnis, denn das gehört nun einmal zu ihrem Beruf. Ich kenne ein paar, Therapeuten meine ich, wissen Sie, man trifft sich so in gesellschaftlichem Rahmen. Es muß ja immer mehr dieser Leute geben, weil es so viele arme Menschen gibt, Sie wissen schon, die mit dem Leben nicht mehr klar kommen. Das ging mir auch einmal so, das gebe ich offen zu, vielleicht haben Sie es auch schon bemerkt. Aber das ist heute keine Schande mehr, finde ich. Viele meiner Leidensgenossen – ich verwende diesen Ausdruck, obwohl ich mich selbst nicht als leidend ansehe. Das waren die anderen, die mich zu dem machten, was ich heute bin. Wo war ich stehengeblieben? Ach, natürlich, bei meinen Leidensgenossen, den sogenannten. Nun, mit diesen kann ich manchmal durchaus Gespräche in der Art führen, wie ich das gerne tue, Sie wissen schon, ein wenig Philosophie, das heißt das, was ich dafür halte, ein wenig Lebensweisheiten, obwohl mir meine Großmutter immer sagte, weise würde ich nie sein, nicht einmal durch das Leben, denn wenn ich so ein böses Mädchen bliebe, würde ich niemals so alt werden wie sie. Nun, nachdem man die Todesstrafe abgeschafft hat, hat meine Großmutter nicht recht behalten, aber das konnte sie ja nicht wissen, daß ich es soweit bringen würde. Ich meine, das wußte ich auch nicht, und ich habe es auch nicht darauf angelegt, wie der Staatsanwalt den Geschworenen glauben machen wollte. Es ist einfach so passiert, und manchmal glaube ich, es war besser so. Nun, aufgrund verschiedener Umstände, ich denke, das hängt mit unserem Sozialstaat zusammen, bin ich nach dem Urteil erst einmal in dieser netten Klinik gelandet, weil sie glaubten, ich könnte mich bessern. Vielleicht hätten sie recht gehabt. In einer Welt, die mit meinen Maßstäben messen würde, hätten sie recht haben können. Aber es gibt wohl nicht viele Leute, die meine Ansichten teilen. Auch Sie, das muß ich zu meinem Bedauern sagen, haben nicht dazu gehört, und nun können Sie sehen, wozu das geführt hat. Da liegen Sie nun vor mir, mein Regenschirm steckt noch in Ihrer Brust und ich bin mir ziemlich sicher, daß Sie sich nicht darüber im Klaren sind, warum Sie mir heute begegnen durften und warum ich wieder einen Rückfall hatte, wie das meine Freunde, die Therapeuten nennen würden. Nun, wie dem auch sei, Sie sollten wissen, daß man als junges Mädchen in Ihrem Alter nicht so herumlaufen sollte, so, wie Sie aussehen. Nein, ich meine jetzt nicht den Regenschirm in Ihrer Brust, wobei ich fast ein bißchen stolz darauf bin, daß dieser rote Regenschirm so gut zu Ihrer knallgrünen Jacke paßt. Ja, ich suche mir meine Opfer schon ein bißchen stilvoll aus. Nein, Opfer ist kein schönes Wort, da haben Sie recht, aber wissen Sie, es ist nun wirklich nicht möglich, in dieser Zeit des Jahres mit einer grünen Jacke herumzulaufen. Es ist nicht die Farbe, nein, wirklich nicht. Ich meine, es ist nicht die Farbe der Jahreszeit, natürlich war die Farbe der Jacke schuld an Ihrem Unglück. Ach, was rede ich da, schuldig oder nicht schuldig, darum geht es nicht mehr. Darum kann es schon lange nicht mehr gehen. Und Unglück, was ist schon Unglück? Glauben Sie an eine geheime Schicksalsmacht? Da, wo Sie jetzt sind, bekommen Sie vielleicht die Antwort auf Ihre Fragen. Aber wer gibt mir Antworten? Früher dachte ich immer, ich könnte die Antworten von Leuten wie Ihnen bekommen. Aber leider waren sie immer so schweigsam, nachdem sie mir begegnet waren. Das muß an meinem Regenschirm liegen. Der kennt meine Stimmungen ganz genau, und wenn er merkt, daß mir etwas nicht in mein Weltbild paßt, dann macht er sich selbständig. Natürlich ist das nicht so, mein, mein ist die Hand, die ihn führt, und ich bin sehr froh, daß mir meine Therapeuten erzählt haben, daß es so ist. Denn wissen Sie, es kann einen schon verrückt machen, wenn man denkt, man hätte einen mordenden Regenschirm, und am Ende würde er einen im Schlaf erdolchen. Aber wenn man sich dann sicher sein kann, daß man es steuern kann, findet man unheimlichen Gefallen an Leichen. An frischen Leichen natürlich. Wie, Sie finden das unheimlich? Oh, meine Therapeuten fanden das auch, und als diese gute Frau im Blümchenkleid meinte, sie müsse mir zur Therapie meinen roten Freund mit der Metallspitze mitbringen, freute ich mich sehr, aber sie konnte meine Freude nicht teilen. Sie schaffte es nicht mehr, den Knopf zu drücken, und nachdem ich rote Flecken auf ihr Kleid gemacht hatte – ich bin nicht schuld an den Flecken, wäre ich an der Schöpfung beteiligt gewesen, hätte ich das Blut mancher Leute durchsichtig gemacht, denn auf Blümchenkleidern sieht das immer so unordentlich aus – sprang ich aus dem Fenster und verließ den Park, der die Klinik umgibt. Und nun bin ich wieder in einem Park, und schön ist es hier. Sie, meine Liebe, waren auch einmal schön, bevor der Tod seine Fratze in Ihrem Gesicht zurückließ. Und bevor ich nicht weiß, ob der Tod auch schöne Gesichter machen kann, kann ich leider nicht ablassen von meinem Freund, dem Regenschirm. Das verstehen Sie doch, nicht wahr? Nein? Oh, ich merke, ich kann Ihnen das nicht weiter erklären, denn ich höre sie kommen. Soll ich den Schirm stecken lassen und mir bei Gelegenheit einen neuen besorgen? Ach nein, meine Verfolger wissen Stil eh nicht zu schätzen, und so nehme ich ihn eben mit. Schade, daß Sie nicht mehr sehen können, wie hübsch Sie waren mit dem roten Schirm in Ihrer grünen Jacke. Aber es war nicht anders zu machen.

Die Welt ist schlecht, nicht wahr? Mörder und Strauchdiebe überall, man kann seines Lebens nicht mehr sicher sein. Oh ja, auch ich habe mich schon einmal verfolgt gefühlt, eben, im Park. Gefährliche Gegend, meinen Sie? Oh, das werde ich mir merken. Was tragen Sie eigentlich für einen Mantel? Finden Sie diese Farbe überhaupt passend für die Jahreszeit?“

(1997)

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