Es ist Diskussionszeit. In den letzten Wochen ging es nicht nur im Netz heiß her. Da wurde sich gegen sprachliche Unsauberkeit in Bezug auf Krankheit und Behinderung gewehrt, da wurde aufgeschrien, da wurden Argumente ausgetauscht, ob Bücher dem heutigen Sprachgebrauch angepasst werden sollten, dürften oder gar müssten.
Die Diskussionen, die geführt werden, sind in vielen Punkten gut, richtig und nötig.
Ich habe lange überlegt, ob ich mich zu den einzelnen Themen äußern möchte. Auf den Mund gefallen bin ich nicht, aber manche Diskussion macht es einem nicht gerade leicht, mit einzusteigen. Ich beobachte, dass sich Diskussionen teilweise in eine Richtung entwickeln, die es dem Otto-Normal-Diskutanten schwer macht, sich zu äußern. Wer sich nicht messerscharf ausdrücken kann, wird schnell in eine Ecke geschoben, nämlich in die Ecke derer, die es einfach nicht verstanden haben, oder die in Wahrheit ja mit Schuld sind, weil sie eine simple oder gar pragmatische Ansicht vertreten und das große Problem gar nicht sehen. Mit allzu großem Sendungsbewusstsein, mit starkem missionarischen Eifer bringt man manche eher zum Schweigen als sie mit in die Diskussion zu holen und ihre Meinung anzuhören.
Man verliert leicht den Überblick, was denn jetzt der aktuelle Stand der Dinge ist, welche Worte und Ausdrücke nun korrekt sind, was man sagen soll, kann, muss. So mancher würde mehr Menschen erreichen mit dem, was er will, wenn er den verbalen Holzhammer einfach mal stecken ließe und das, was andere als Realismus und Bodenständigkeit bezeichnen, nicht einfach als Quatsch mit Soße abtun würde. Wer möchte denn noch ernsthaft mitdiskutieren, wenn er zu hören bekommt, als Nichtbetroffener wisse er doch gar nicht, wovon die Rede sei, und überhaupt sei die Welt ja viel komplizierter.
Wer definiert eigentlich, wann man Betroffener ist und mitreden kann?
Ich habe oft ein dickes Fell. Sprüche wie „Warum schminkst du dich, du hast doch einen Freund”, oder „Mit der Oberweite solltest du Schlagersängerin werden und nicht Klassik studieren” bringen mich je nach Laune dazu, entsprechend zu kontern, laut zu lachen oder denjenigen einfach stehen zu lassen.
Es gibt andere Situationen, die ich nicht so leicht wegstecke. Ich habe erlebt, dass sich „Freunde“ von mir abwandten, als ich eine depressive Episode hatte, und dass Menschen dachten, psychische Probleme seien ansteckend, und wer Medikamente nimmt, sei schwach.
Ich kenne Menschen, die sind sprachlich immer korrekt und auf dem neuesten Stand und behandeln andere doch von oben herab und bevormunden sie, weil sie ja wissen, was das Beste ist.
Ich habe „Die kleine Hexe” gelesen und erinnere mich kaum an Details. Ich habe „Nesthäkchen” und „Professors Zwillinge” gelesen. Bücher, in denen, wenn ich mich recht erinnere, keine dunkelhäutigen Menschen vorkommen, und die doch vom Frauen-, Familien- und Menschenbild so altmodisch und teilweise übergriffig sind, dass ich sie keinem Mädchen heute ohne Begleitung und Erklärung zum Lesen geben würde. Ich las „Bille und Zottel” und „Tina und Tini” und Karl May und Ludwig Thoma und Edgar Wallace.
Trotzdem ist, so hoffe ich, etwas aus mir geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil meine Eltern mir vorgelebt haben, wie wir Menschen gut miteinander umgehen können, dass wir füreinander einstehen, dass alle die gleichen Rechte haben und dass die Hautfarbe oder der Dialekt oder die Herkunft nichts darüber ausssagt, ob jemand ein netter Mensch ist. Dass wir alle wertvoll sind, und dass Normalität viele Facetten hat.
Sprache ist wichtig. Nachdenken über Sprache und sprachliche Gewohnheiten ist wichtig und kann sogar richtig viel Spaß machen.
Doch Sprache ist nicht alles. Und ich meine, wir sollten aufpassen, dass wir vor lauter Diskussionslärm die Zwischentöne nicht überhören.