Author Archives: Andrea Ha.

Rauhnächte

Nie werde ich
den bangen Blick
meiner Großmutter
vergessen

als ich
in meiner jugendlichen
Unbeschwertheit

irgendwann
zwischen Weihnachten
und Dreikönig

die schönen weißen
Festtagstischdecken

in die Waschmaschine steckte
und sie
wusch.

Kind!
sagte die Großmutter
und ihre Stimme
zitterte.

Weißt du nicht?
Dass in den Rauhnächten
das Tor
zwischen den Welten
weit offen steht?

Dass sich in der Wäscheleine
die wilde Jagd
verfängt
und dass das weiße Tuch
zum Leichentuche
wird?

Ach Oma!
Noch ‘n Schnäpsken.
Noch ‘n Punsch
Zum Bersten gefüllte Kühlschränke
und Bäuche.

Kein Wunder,
dass mancher da Gespenster sieht.

Obwohl…
wenn der Wintersturm
sein einsames Lied
singt

und die Scheunentür
leise knarrt

könnte man schon
annehmen…

Ach nein.

Und die Kerzen
flackern.

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Der Liebesbrief

Heute mal wieder eine kleine Geschichte – Menschen mit zartem Gemüt oder ohne Sinn für den Wahnsinn des Lebens lesen bitte vorsichtig. Es geht nicht um Romantik und Blümchen 😉

„Gestern wäre ich in der Stimmung gewesen, einen zu schreiben. Ich habe es nicht getan. Warum, weiß ich nicht. Ich war so richtig schön melancholisch geworden nach der Lektüre dieses Buches, in dem es um Liebe ging, und niemand war getrennt von seinem Liebhaber, so wie ich. Ich hätte mich wirklich hinsetzen sollen, und einen Liebesbrief schreiben. Denn heute fällt es mir ziemlich schwer, mich wieder in diese Stimmung hineinzuversetzen. Warum eigentlich? Ich meine, wenn ich gestern genauso stark verliebt war wie heute, das heißt, wenn ich heute immer noch so stark verliebt bin wie gestern, sollte das doch eigentlich ein Leichtes für mich sein. Bedeutet die Tatsache, daß ich heute nicht in der Stimmung bin, einen Liebesbrief zu schreiben, daß ich nicht mehr liebe? Daß ich nicht mehr so sehr liebe wie gestern? Daß die Liebe etwas Vergängliches ist?
Gut, daß die Liebe vergänglich ist, bleibt eine Tatsache. Niemand liebt ständig und mit der gleichen Intensität. Oder doch?
Wenn das so wäre, dann gäbe es keine Anwälte, die sich auf Scheidungen spezialisiert haben.
Ich hätte wirklich gestern versuchen sollen, einen Liebesbrief zu schreiben. Ich habe ja wirklich lange genug darüber nachgedacht, ob ich es tun sollte, aber warum ich es letztendlich nicht getan habe, kann ich mir nicht erklären.
War es Faulheit?
Wenn man zu faul ist, einen Liebesbrief zu schreiben, liebt man dann nicht genug?
Welche Leute schreiben eigentlich Liebesbriefe?
Was ist ein Liebesbrief?
Muß ein Liebesbrief immer eine wirkliche Liebeserklärung enthalten, so mit vielen Beteuerungen, die sich immer um das Wort Liebe ranken? Kann ein Liebesbrief nicht auch einfach ein Brief an den Liebsten sein, an den man einfach einen besonderen Satz anfügt, wie „Ich liebe Dich“.
Aber ist dieser Satz wirklich noch so besonders?
Die meisten Leute verwenden ihn ja fast schon, ohne darüber nachzudenken.
Ich sehe mich außerstande, heute einen Liebesbrief zu schreiben.
Natürlich, wenn ein Liebesbrief einfach nur die Worte „Ich liebe Dich“ enthalten soll, dann ist es einfach.
Aber wenn es mehr sein soll, wenn man mehr Poesie haben möchte, mehr Romantik, dann wird es schon schwieriger.
Gestern wäre ich in der Stimmung gewesen.
Heute ist es zu spät.
Überhaupt etwas Seltsames, so ein Liebesbrief.
Muß er mit Tinte geschrieben werden, und einem Füllhalter von guter Qualität? Genügt Bleistift? Darf es etwas so profanes wie ein Kugelschreiber sein? Oder hat die Farbe eine Bedeutung?
Rot.
Rot wie die Liebe, so sagt man.
Rot wie Blut.
Davon hätte ich ja genug.
Jeder Mensch besitzt einige Liter.
Wie viel es wirklich ist, weiß ich erst seit heute.
Was mußtest Du auch in mein Küchenmesser laufen.
Noch dazu, wo es auf der Höhe Deines Bauches war.
Du hättest ja daran vorbeilaufen können.
Aber Du schienst auch wissen zu wollen, wieviel Blut Du in Dir hast.
Und Briefe wolltest Du von mir, Briefe, in denen ich Dir von meiner Liebe erzählte.
Gestern, ja, gestern hätte ich einen solchen Brief schreiben können.
Da warst Du weg, da war es schön, von Dir zu träumen, und Dich so zu machen, wie du nie gewesen bist.
Ich hätte Dich gerne anders gehabt.
Jetzt habe ich Dich gar nicht mehr.
Du sagst nichts.
Ich glaube, Du bist tot.
Erwartet ein Toter einen Liebesbrief?
Erwartest du immer noch, daß ich Dir einen schreibe?
Du hast immer viel von mir erwartet.
Ich glaube, ich hätte Deine Erwartungen nie erfüllen können, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Ich wenigstens habe nicht versucht, Dich zu ändern. Ich habe immer nur geträumt, wie du sein könntest.
Aber glaube mir, ich habe nie davon geträumt, Dich so zu sehen.
Zusammengekrümmt auf dem Küchenfußboden.
Wer putzt eigentlich die Schweinerei weg?
Natürlich, das muß ich wieder machen.
Zum Scheidungstermin hätte ich ja auch erscheinen sollen, da ging es auch nicht ohne mich.
Aber ich bin nicht gekommen.
Scheidung.
Also wirklich.
Du hast Dich bei jemand anderem beschwert über mich.
Hast gesagt, ich sei verrückt.
Daß ich nicht lache.
Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, daß ich zu diesem Termin gekommen wäre? Ich habe doch noch nie Termine eingehalten.
Das hast Du mir oft genug vorgeworfen.
Und jetzt?
Meine Güte, was soll ich jetzt nur machen?
Irgend jemand wird mir wieder Fragen stellen, die ich nicht beantworten will.
Dumme Fragen.
Solche Fragen, wie:
Warum schreibst du mir eigentlich keinen Liebesbrief?
Warum eigentlich?
Hier hast Du ihn.
Hoffentlich bist Du jetzt zufrieden.“

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Kleines Jubiläum

Heute vor einem Jahr habe ich hier den ersten Beitrag geschrieben.
Viel ist in diesem Jahr passiert, ich habe einiges veröffentlicht, vieles verworfen, habe Spaß am Schreiben gehabt und manchmal auch überhaupt keine Lust.

Über jemanden, der keine Lust zum Schreiben hat, habe ich im Herbst 1999 mal geschrieben.
Hier ist die Geschichte der Schreibblockade.
Viel Spaß beim Lesen!

„Es ist mal wieder Zeit für eine neue Geschichte, sagte sein Verleger.
Warum schreibst du eigentlich nicht mehr? sagte seine Frau.
Ich vermisse das Klappern der Schreibmaschine, sagte sein Sohn.
Ich brauche neue Schuhe, sagte seine Tochter.
Trink noch einen, sagte sein Zechkumpan.
Man hat schon lange nichts mehr von ihm gehört, schrieb sein schärfster Kritiker.
Warum schreibst du mir keine Briefe mehr? beschwerte sich seinen Mutter.
Früher hast du jeden Tag geschrieben, stellte sein Freund fest.
Wir werden steif! meldeten seine Finger.
Ich werde löchrig, stöhnte sein Gehirn.
Und er bekam Kopfschmerzen.
Jeden Morgen, wenn er aufstand, sah er das erwartungsvolle Gesicht seiner Frau.
Vielleicht könntest du dich heute mal wieder ins Arbeitszimmer an die Schreibmaschine setzen, sagte sie und stellte ihm eine Tasse Kaffee hin. Ich sorge auch dafür, daß du nicht gestört wirst.
Ruhe bitte.
Keine Störung.
Hier sitzt ein kreativer Kopf.
Hier, genau hier, bei der Arbeit.
Bei der Arbeit.
Vor langer Zeit traf das zu.
Aber jetzt, jetzt konnte er nicht mehr.
Er schaffte es einfach nicht, ins Arbeitszimmer zu gehen, wo die Schreibmaschine auf ihn wartete.
Hunderte von Seiten waren noch nicht geschrieben.
Wir müssen über Ihr Konto sprechen, sagte der Sachbearbeiter bei der Bank und seufzte.
Stell dich nicht so an, Papa. Du bist ja wie ein kleines Kind, warf seine Tochter ihm vor, und fügte hinzu, daß sie unbedingt neue Schuhe brauche.
Die Schreibmaschine sah ihn anklagend an, wenn er die Tür zum Arbeitszimmer einen Spalt aufmachte. Sie stand auf dem Schreibtisch, und ein weißes Blatt Papier war bereits eingespannt. Wartete auf ihn.
Machte sich über ihn lustig.
Hielt ihm einen Spiegel vor.
Sieh nur, so leer wie ich sind deine Gedanken.
Du hast keine Ideen mehr.
Du hast keine Energie.
Dein kreativer Brunnen ist versiegt.
Du lebst in einer Wüste, keine Oase weit und breit.
Vielleicht solltest du dir eine Mätresse zulegen, schlug sein Saufkumpan vor.
Wann hattest du zum letzten Mal Verkehr? fragte sein Freund und wurde rot.
Herr K., Ihr Vertrag sieht vor, daß Sie uns regelmäßig etwas vorlegen, mahnte sein Verleger.
Damit wir es verlegen können.
Er schien seine Kreativität verlegt zu haben.
Wenn er nur wüßte, wo er sie hingelegt hatte.
Die Kopfschmerzen wurden stärker.
Das, was er als letztes geschrieben hatte, hatte alles bisher dagewesene in den Schatten gestellt.
Er würde nie mehr etwas so Geniales zu Papier bringen können.
Überhaupt war er doch nur ein Stümper.
Wußte nicht viel vom Handwerkszeug eines Schriftstellers.
Kannte sich in der Weltliteratur nicht aus.
Hatte nur irgendwann beschlossen, daß Schreiben Spaß machte, mehr Spaß, als jeden Tag in ein Büro zu gehen und sich mit Sachen herumzuärgern, die ihn nicht interessierten.
Und es war so einfach, anfangs zumindest.
Die Ideen kamen, manchmal mehr, als ihm lieb waren.
Dann sammelte er sie in einem Heft, und wenn er eine benutzt hatte, strich er sie aus.
Es gab bald keine neuen Ideen mehr in seinem Heft.
Und er fragte sich, ob er während all dieser Jahre das Falsche getan hatte, ob sein Traum in Wahrheit nicht etwas ganz anderes gewesen war, als hauptberuflich zu schreiben.
Aber was?
Er wußte, wenn er herausfand, was es war, dann würden seine Probleme gelöst sein.
Aber du wolltest doch Schriftsteller sein, seit ich dich kenne, wunderte sich seine Frau und führte ihn zum Arbeitszimmer.
Setz dich wenigstens hin und brüte an deinem Schreibtisch. Dann muß ich nicht immer dein nachdenkliches Gesicht sehen.
Und er setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte aus dem Fenster.
Schon wieder war es Herbst.
Als er das letzte Mal hier gesessen hatte, war es auch Herbst gewesen, aber das war schon viele Monde her.
Ach ja, der Mond.
Ein Gefährte in einsamen Nächten, wenn er nicht schlafen konnte, und wenn seine Finger sich weigerten, die Schreibmaschine zu berühren.
Vielleicht würde ihm ein Computer helfen.
Als er ging, um einen Computer zu kaufen, hielten ihn alle für endgültig übergeschnappt.
Wozu brauchst du einen Computer, wenn du eh nicht arbeitest, fragte seine Frau.
Können wir im Internet surfen? wollten seine Kinder wissen.
Aber er schloß sich im Arbeitszimmer ein.
Der Bildschirm starrte ihn an, und er starrte zurück.
Stundenlang.
Was hatte er als Kind werden wollen?
Er konnte sich nicht erinnern.
Geh doch mal zum Arzt, riet ihm sein Freund.
Herr K., wir warten auf Nachricht von Ihnen, schrieb sein Verlag.
Sie wurden langsam ungeduldig, alle wurden ungeduldig.
Und auch seine Kopfschmerzen wurden ungeduldig.
Wozu sind wir eigentlich da, schienen sie zu fragen.
Wir können dich nicht mehr quälen, du hast dich schon zu sehr an uns gewöhnt.
Und sie verschwanden.
Zunächst vermißte er sie, aber dann wandte er sich anderen Dingen zu.
Er wollte die Löcher in seinem Gehirn flicken.
Er mußte herausfinden, was der Traum seiner Kindheit gewesen war.
Er suchte den Traum seiner Kindheit im Internet.
Seine Frau beschwerte sich über die hohe Telefonrechnung, aber er wurde von einer seltsamen Zufriedenheit erfüllt.
Er fühlte sich gut.
Und manchmal meinte er, ein bißchen von der Energie zu spüren, die er noch vor einem Jahr in sich gehabt hatte.
Als er ein Junge gewesen war, hatte man gerade mit der Entwicklung von Computern begonnen, und nun war es schon so weit gekommen, daß selbst Laien eine solche Maschine bedienen konnten.
Er holte sich Bücher über Computer aus der Bibliothek.
Er las stundenlang und vertiefte sich in Schaltpläne.
Er redete mit seinem Computer.
Seine Frau schlief im Gästezimmer.
Trink noch einen, sagte sein Saufkumpan, nun sei doch nicht so.
Ist der Computer wichtiger als ich? wollte sein Freund wissen.
Der Computer war da, wann immer er ins Arbeitszimmer kam.
Er wollte ihn beherrschen, er wollte der Sieger sein.
Genauso, wie er Worte beherrscht hatte.
Er begann, den Computer zu programmieren.
Ich hätte nicht gedacht, daß du das kannst, wunderte sich seine Frau.
Mein Vater kann Computer programmieren, erzählte sein Sohn seinen Freunden.
Kaum zu glauben, was diese Maschine aus dir gemacht hat, sagte sein Freund.
Wir stellen Ihnen hiermit ein Ultimatum, schrieb der Verlag.
Eines Morgens wachte er auf und verspürte einen unwiderstehlichen Drang, das Textverarbeitungsprogramm aufzurufen.
Er begann zu schreiben.
Er schrieb von den verlorengegangenen Träumen eines kleinen Jungen.
Seine Frau begann, sich wieder Sorgen zu machen.
Er hatte kaum Zeit zum Essen.
Seine Finger taten ihm weh, und dennoch konnte er nicht aufhören.
Eine unsichtbare Macht hielt ihn fest, zwang ihn zu schreiben.
Und er genoß es.
Er genoß es wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Sein Kindheitstraum hatte sich zurückgezogen und ließ ihn in Ruhe.
Die Worte fanden wieder den Weg zu ihm und sein Verleger schrieb enthusiastische Briefe.
Sein Sachbearbeiter bei der Bank sprach wieder mit ihm.
Sein Freund kam wieder regelmäßig vorbei und kommentierte den Fortgang der Arbeit.
Und sein Saufkumpan schmiß eine Runde nach der anderen.
Danke für die neuen Schuhe, sagte seine Tochter.
Möchtest du noch einen Schluck Kaffee? fragte seine Frau.
Und er fragte sich, ob er noch normal war.“

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Advent, Advent, ein jeder rennt?

Noch eine Woche bis Heiligabend! Für die einen (meist sind sie unter 12 Jahren alt) eine herrliche Aussicht, für die anderen (meist über 18 Jahre alt) eine Zeit voller Stress und Hektik. Ich höre kaum, dass jemand die Adventszeit genießt. Da wird von Weihnachtsfeier zu Weihnachtsfeier gehetzt, da wird eingekauft, als ginge die Welt unter (nein, ich glaube nicht daran, dass das zu meinen Lebzeiten tatsächlich geschieht. Aber das ist ein anderes Thema), da werden Geschenke gejagt und kiloweise Plätzchen gebacken. Viele klagen über Stress, und ich frage mich: muss das sein?

Für mich ist die Adventszeit immer noch die staade Zeit, also, die stille Zeit. Ja, ich habe auch mal hektische Momente, weil z.B. im Job die Zeit nicht stehen bleibt und es für manche Themen einfach kein Weihnachten gibt, sondern nur Abgabetermine, aber ich versuche es insgesamt so ruhig wie möglich angehen zu lassen. Dazu gehört auch, dass ich mich nicht vom allgemeinen Tempo mitreißen lassen möchte. Ich besorge Geschenke für die Menschen, die mir wichtig sind. Aber ich mache das mit Ruhe und im Wissen, dass es wichtigere Dinge gibt als viele Päckchen unter oder neben dem Baum.

Die staade Zeit ist mir wichtig. Einfach mal sitzen und dem Kaminfeuer zuschauen. Adventslieder singen. An Menschen denken, denen es nicht so gut geht. Kuscheln. Bücher lesen. Gedanken machen. Plätzchen backen (zwei Sorten müssen genügen). Nette Worte mit den Nachbarn wechseln. Tagebuch schreiben. Und oft auch mal gar nichts tun.

Ganz oft habe ich in den letzten Tagen gelesen, dass sich Menschen die Adventszeit aus der Kindheit zurückwünschen, die voller Geheimnisse und Magie war. Ich denke, dass diese Zeit immer noch da ist, für jeden von uns. Wenn wir innehalten und die Ruhe und die Magie wieder zulassen, der geheimnisvollen staaden Zeit Raum geben, und die Erlaubnis, dass wir uns tief in uns drinnen einfach freuen dürfen, dann kommt diese Adventszeit wieder und der Glanz, der sie begleitet, strahlt für uns alle.

In diesem Sinne wünsche ich eine behagliche, wohlige und gesegnete staade Zeit!

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Musik zum Wohlfühlen und Nachdenken

Einer meiner Lieblingsliedermacher (wenn ich ihn denn so nennen darf) ist Wolfgang Buck (http://www.wolfgang-buck.de)
Als echdder Frangge spielt er hauptsächlich dort, aber manchmal fährt er ein Stück weiter und gibt ein Konzert in Hessen. Und dann bin ich dabei.

Zu Franken und dem fränkischen Dialekt habe ich ein besonderes Verhältnis. Es ist schwierig zu erklären, wo meine Heimat tatsächlich ist, so oft bin ich umgezogen in meinem Leben, aber Franken ist und bleibt Teil meiner Heimat und auch Teil meiner Geschichte. Ich mochte die Lieder von Wolfgang Buck, seit ich ihn vor vielen Jahren das erste Mal in Bayreuth im Gemeindehaus erlebte, als er noch als singender Pfarrer angekündigt war. Frömmelnd waren und sind seine Lieder nie, die Lieder, die vom Glauben oder von der Hoffnung handeln, sind einfach nur voller Poesie und Zuversicht, und manchmal auch, wie das im Leben ist, spürt man auch ein wenig Zweifel.

Dann gibt es kritische Lieder in Wolfang Bucks Repertoire, Lieder, die Fragen stellen, Lieder, in denen er unbequeme Wahrheiten besingt.

Und dann gibt es diese wunderbaren, wahren, überzeichneten, liebevollen und warmen Lieder übers fränggische Leben, die ich so mag, und die für mich immer ein Stück Zuhause spiegeln, auch wenn der Dialekt, den ich spreche, wenn mir nach Fränggisch ist, ein klein wenig anders ist als der vom Wolfgang Buck.

Warum ich das alles schreibe? Weil es jetzt eine neue CD gibt, an der ich mich nicht satthören kann, und weil der Wolfgang Buck einer der besonderen Menschen ist, der auch schwierigen und angstmachenden Themen wie Depressionen, Krankheit und Sterben ein Gesicht und eine Geschichte gibt und weil es wichtig ist, dass auch diese Geschichten erzählt und besungen werden.

Die Lieder sind übrigens auch für Nichtfranken bis auf wenige Ausnahmen gut verständlich. Wer mal reinhören mag, hat auf der Website von Wolfgang Buck Gelegenheit dazu.

Ich steck jetzt wieder die CD in den Plattenspieler 😉

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Nachbarschaft

An der Ostküste der USA tobte dieser Tage ein heftiger Sturm, der großen Sachschaden anrichtete und auch Menschenleben forderte. Überall in den Nachrichten Bilder von überfluteten Straßen, von Menschen, die evakuiert werden, einige Heldengeschichten, und viel Sensationsgier.
Gestern hörte ich jemanden sagen, das sei alles ja sehr tragisch, aber „wir in Mitteleuropa“ seien ja ungefährdet, es gäbe bei uns ja weder Sturmfluten noch Wirbelstürme und überhaupt könnten wir den anderen ja noch beibringen, wie man standfeste Häuser baue.
Ich denke nicht, dass wir uns über diejenigen stellen sollten, die gerade alles verloren haben. Niemand ist vor Unwettern und anderen Naturereignissen sicher. Und auch hier lohnt es sich, vorbereitet zu sein.

Häufig geht allerdings diese Vorbereitung mit großer Technikgläubigkeit einher. Dass man per sms informiert werden müsse, dass die Behörden über Twitter und andere Netzwerke Evakuierungsanweisungen geben müssten etc. Es gibt ja auch Versuche wie z.B. „Katwarn“, wo man sich eintragen kann und dann eine sms bekommt, wenn etwas los ist. Aber da man nur die Informationen für seinen Wohnort und nicht für den aktuellen Aufenthaltsort bekommt, sind solche Systeme ebenso störanfällig wie alles andere.
Was mir in der Diskussion fehlt, ist die menschliche Komponente. Und zwar die menschliche Komponente in Form von Nachbarn, die ja die meisten von uns haben, auch in der Stadt, nicht nur in der dörflichen Gemeinschaft.

Wer kennt denn seine Nachbarn tatsächlich? Wer weiß, wo diejenigen wohnen, die im Notfall helfen können, und wo diejenigen sind, die im Notfall Hilfe brauchen?
Wenn ich weiß, dass in meinem Haus jemand wohnt, der nicht hören kann, dann kann ich mich darum kümmern, dass er trotzdem informiert wird, wenn etwas passiert ist. Wenn ich weiß, dass meine Nachbarin nicht gut sieht, dann kann ich mich darum kümmern, dass ich sie mitnehme, wenn wir das Haus verlassen müssen. Wenn ich weiß, dass gegenüber ein Alleinerziehender mit zwei Kindern ist, dann kann ich auch da meine Hilfe anbieten.
Meine Nachbarn wissen, dass es bei uns Kerzen gibt. Und einen Gaskocher. Und ein Stromaggregat. Und einen großen Erste-Hilfe-Kasten. Und noch viel wichtiger ist es, dass wir voneinander wissen, dass wir im Notfall füreinander da sind. Egal, ob das jetzt der große Stromausfall ist, der Schneesturm oder einfach nur die geplatzte Wasserleitung im Bad.

Für Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft unter Nachbarn braucht es keine Behörde, keinen Social-Network-Alarmknopf und keine Aufforderung „von oben“. Das braucht einfach nur Menschen, die sich darauf einlassen. Und ich denke, dass das mindestens genauso viel wert ist wie technische Hilfsmittel. Wenn nicht sogar mehr.

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Landleben

Seit gut zehn Jahren lebe ich auf dem Land, in einem mittelgroßen Dorf mit einem Supermarkt, zwei Bäckereien, einer Apotheke und anderen Annehmlichkeiten.
Es ist eine schöne, ruhige Gegend.
Und ich wohne gern hier.
Ich mag es, abends nach Hause zu kommen und nie einen Parkplatz suchen zu müssen. Ich mag es, wenn der Nachbar frischen Apfelsaft keltert und wenn wir uns über die besten Möglichkeiten der Brennholzlagerung unterhalten. Ich mag es, wenn ich zum Gasskehren zwei Stunden brauche, weil es viel zu erzählen gibt. Ich mag es, wenn die Gänse drei Häuser weiter lauthals melden, dass jemand vorbeikommt. Ich mag meine Brombeerhecke und den Walnussbaum, und ich verstehe sogar die Leute, die mir bei der Ernte helfen, wenn ich nicht da bin (noch haben wir kein Gartentor, das erleichtert das wohl). Die Früchte sind nun einmal sehr lecker.
Ich mag die Pferde auf der Weide hinter unserem Garten und ich mag Nachbars Kater, der auch bei uns dafür sorgt, dass die Zahl der Mäuse sich in Grenzen hält. Ich mag die Fledermäuse, die abends auf die Jagd gehen, und ich mag unsere Mauersegler, auch wenn sie uns die Treppe dieses Jahr ordentlich vollgesch… haben.
All diese Dinge mag ich, und noch vieles mehr.
Ich habe lange Jahre in Städten gewohnt. In Großstädten, in Metropolen, in mittelgroßen Städten. Es war schön, ich mochte es gern. Und jetzt lebe ich eben auf dem Land und möchte es nicht missen.

Wie in allen Dörfern in unserer Region gibt es auch bei uns ein Neubaugebiet. Es unterscheidet sich nicht von anderen Neubaugebieten, die Häuser sind adrett und die Gärten klein. Direkt hinter dem Neubaugebiet gibt es Wiesen, Wiesen, Wiesen. Ein Teil davon wird als Regenrückhaltebecken genutzt. Da soll das Gras nicht zu hoch werden. Da gibt’s mehrere Möglichkeiten, und die Gemeinde entschied sich dafür, einem der örtlichen Landwirte anzubieten, die Wiese von einigen seiner Kühe mähen, sprich fressen zu lassen, anstatt mit dem Trecker herumzutuckern und Abgase in die Luft zu blasen.
Die Gemeinde hatte allerdings die Rechnung ohne einige Bewohner des Neubaugebietes gemacht. Diese beklagten sich über erhöhte Geruchsbelästigung (was müssen diese Kühe auch pupsen) und über Insekten. Was tat nun die Gemeinde?
Die Kühe weiter dort grasen lassen und den Bewohnern erklären, wie man Nisthilfen für Fledermäuse oder Mauersegler anbringt? (Das reduziert die Insektenquote erheblich).
Nein, das geschah nicht.
Statt dessen musste der Landwirt seine Kühe einfangen, und die Gemeinde mäht nun wieder mit dem Trecker.

Und ich frage mich, wann die ersten Beschwerden kommen, dass das Mähwerk zu laut ist oder dass die Insekten trotzdem weiterhin durch die Luft schwirren.

Den Menschen, die die kleinen Dinge des Landlebens als Störung empfinden, wünsche ich, dass sie sich trotzdem hier wohlfühlen. Denn irgendeinen Grund muss es gehabt haben, dass sie ihr Haus auf dem Land gebaut haben.

Für mich gibt es jedenfalls nichts Schöneres, als an einem Sonntagnachmittag im Garten spontan ein Lagerfeuer zu machen, den Wolken zuzuschauen und mich an den vielen Gerüchen und Geräuschen zu erfreuen, die die Natur um mich herum für mich macht.

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Aus meinem Bücherschrank: Quentin Bates

Ich liebe Bücher. Geschichten, Gedichte, Romane, Krimis, Thriller, Sachbücher, Fachbücher, Bilderbücher… schon in der Grundschule konnte ich vom Lesen nicht genug bekommen.
Ich erinnere mich, dass ich einmal nach Hause kam und es war niemand da und ich hatte keinen Schlüssel. Auf der Treppe lag jedoch ein Päckchen von meiner Tante an mich. Drinnen war unter anderem ein Buch. Da habe ich mich einfach hingesetzt und gelesen und habe mich so intensiv in die Geschichte entführen lassen, dass ich richtig erschrak, als meine Mutter plötzlich vor mir stand und fragte, ob ich nicht mit ihr ins Haus kommen wollte.

Besonders gerne lese ich Krimis. Klassiker von Dorothy L. Sayers und Agatha Christie ebenso wie Bücher von Deborah Crombie oder Yrsa Sigurðardóttir. Und weil ich auch Island mag, lese ich so einiges, was unter dem Stichwort Islandkrimi in die Regale kommt. Neben isländischen Autoren haben in letzter Zeit auch andere das Genre entdeckt. Einer ist z.B. Michael Ridpath, bekannt geworden mit Thrillern aus der Finanzwelt, aber über den wollte ich heute gar nicht erzählen. Ein anderes Mal.

Heute möchte ich von Quentin Bates sprechen, vielmehr von seinen Büchern. Quentin Bates, Journalist und Schriftsteller, mit dem passenden Spitznamen Gráskeggur, ein intimer Kenner Islands. Mehr zu ihm unter http://graskeggur.com/biography/

Quentin hat zwei lesenswerte Islandkrimis geschrieben, die deutschen Titel lauten „In eisigem Wasser“ und „Kalter Trost“. Die Hauptfigur Gunna ist erfrischend normal – zumindest so normal, wie es eine Polizistin und alleinerziehende Mutter eben sein kann. Die Geschichten sind aus dem Leben gegriffen. Wer die Entwicklung der isländischen Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahren verfolgt hat, wird einige der Hintergründe, die in Quentins Büchern auftauchen, wiedererkennen. Trotzdem sind die Geschichten reine Fiktion, und haben alles, was gute Krimis ausmacht: Charaktere mit Ecken und Kanten, jede Menge Verwicklungen, einen Haufen Verdächtiger und natürlich auch eine Auflösung. Die ist jedoch nie vorhersehbar, und es bleibt in beiden Büchern bis zum Schluss spannend.
Die Bücher spielen in der Hauptsache im Südwesten Islands, z.B. in der fiktiven Hafenstadt namens Hvalvík, und natürlich in Reykjavík – an der Hauptstadt kommt man einfach nicht vorbei.
Die Lebensbedingungen auf der großen Insel im Nordatlantik spielen immer eine Rolle, ebenso wie die Natur, doch nie drängen sie sich in den Vordergrund der Geschichten. Quentin versteht es bestens, den Blick von außen und den Blick von innen zusammenzubringen und hat zwei hervorragende Krimis geschaffen, die zeigen, dass das Thema Islandkrimi noch längst nicht ausgelutscht ist.

Quentins Krimis machen Lust auf mehr, und da ist es gut, dass er derzeit am dritten Roman schreibt. Ich freue mich schon darauf, auch diesen in meinen Bücherschrank zu stellen, natürlich nicht, ohne ihn vorher ausgiebig gelesen zu haben.

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Selbstgesetzte Grenzen

Ich bin keine große Sportlerin. Ich wandere gerne, ich fahre gerne Rad, ich schwimme gerne, aber das alles betreibe ich nicht ernsthaft, d.h. ich trainiere nicht regelmäßig, sondern ich mache es immer dann, wenn ich gerade Lust darauf habe.

Mitunter schaue ich aber gerne Sportlern zu, sei es live oder im Fernsehen. Ich habe da keine Präferenzen, was die Sportart angeht, auch wenn ich mit manchen Sportarten wenig anfangen kann und da recht schnell umschalte, wenn ich im Fernsehen drüber stolpere. Mit einer Ausnahme: Olympische und paralympische Spiele. Wenn ich Zeit habe und Wettkämpfe im Fernsehen übertragen werden, schaue ich zu. Egal, welche Sportart dran ist.

Dieses Jahr war wieder Olympia, und die Paralympics laufen gerade. Ich habe noch keine Wettkämpfe gesehen, aber ich verfolge die Berichterstattung und Kommentare im Netz.

Und da stolperte ich in diesen Tagen über einige Sätze in Diskussionsforen, die mich sehr nachdenklich gemacht haben.
Geschrieben wurde da z.B. „Ich schaue das nicht, das ist doch kein Sport“; „Müssen die das denn machen, das ist doch viel zu anstrengend“; „Das sind keine Menschen, sondern Cyborgs“ (gesagt über beinamputierte Läufer); „das beeinträchtigt mein ästhetisches Empfinden“.

Erst war ich sprachlos. Dann wütend. Und dann haben sie mir leid getan, die Menschen, die sich und ihrer Wahrnehmung solch enge Grenzen setzen. Natürlich, niemand muss sich Sportevents anschauen, wenn es ihn nicht interessiert. Aber welches Menschenbild, welches Bild in Bezug auf Hindernisse, Grenzen und Lösungen steckt hinter solchen Kommentaren? Wir werden alle (hoffentlich) einmal älter. Nicht jeder wird im Alter hübscher. Nicht jeder bleibt immer beweglich. Soll man sich deshalb verstecken? Weil irgendwo jemand sein könnte, dessen ästhetisches Empfinden gestört wird?

Ich meine, nein. Sicher, es gibt Grenzen. Manche lassen sich überwinden, andere nicht. Doch die Grenzen, die wir im Kopf haben, die brauchen wir nicht. Wenn ich offen bleibe für neue Wahrnehmungen, für andere Lebensentwürfe, für Ungewohntes, dann kann mir das auch für meine eigene Geschichte Impulse und Energie geben. Und das ist etwas, was ich für mich wichtig finde. Viel wichtiger als Schubladen, Vorurteile und Zuschreibungen.

Ich mag meine Komfortzone auch nicht immer verlassen. Aber ich bin jedes Mal stolz auf mich, wenn ich mich auf etwas Unbekanntes und Ungewöhnliches eingelassen habe. Und ich kann mich für andere freuen, besonders für Sportler, die erfolgreich sind, egal, ob sie nun gehend, schwimmend, rollend oder sitzend ihren Sport machen.

Kommunikation kann Grenzen überwinden, vor allem die Grenzen in den Köpfen. Vielleicht komme ich ja auch noch mit den Menschen ins Gespräch, deren Kommentare mich so nachdenklich machten.

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Für ein friedliches Miteinander

Ich habe lange überlegt, ob ich Sie / Euch, liebe Leserinnen und Leser, an einer Kurzgeschichte teilhaben lassen soll, die ich vor gut 20 Jahren geschrieben habe. Aufgewühlt durch fremdenfeindliche Gewalttaten in unserem Land, habe ich damals einen Teil meiner Gefühle und meiner Ohnmacht in eine Geschichte gepackt.

„Wenn Hass entsteht, wird nichts besser, aber alles schlimmer. Hass darf als Mittel der Konfliktlösung niemals geduldet sein!“ – Joachim Gauck hat das gesagt, so lese ich im Tagesspiegel [http://www.tagesspiegel.de/politik/rostock-lichtenhagen-fremdenfeindlichkeit-in-der-mitte-der-gesellschaft/7056834-2.html] und es stimmt.

Weil es stimmt, und weil mich die Geschehnisse immer noch berühren, teile ich heute die kleine Geschichte mit Ihnen / Euch. Gewalt darf keine Lösung sein, selbst wenn uns das Andersartige noch so fremd und unverständlich erscheint. Wir wollen alle ohne Angst leben und dieses Recht auch unseren Nachbarn zugestehen. Ein friedliches Miteinander ist mir wichtig, und dafür setze ich mich ein. Jeden Tag.

Wer sensibel auf Gewaltschilderungen reagiert, lese bitte sehr vorsichtig.

1992 entstand diese kleine Geschichte:
Der rote Schnee

Weiß. Alles weiß. Staunend stand er in der klirrenden Kälte, im Schnee. Es war neu für ihn,
dieses weiße kalte Etwas. Es war einfach da, über Nacht gekommen, still und heimlich.
Schwarz zeichneten sich die Silhouetten der kahlen Bäume ab, schwarz, so wie er.
Erst wenige Tage war er hier, hatte Schutz gesucht, Schutz vor den Greueltaten, denen er in
seiner Heimat ausgesetzt war. Er wußte, hier war er sicher.
Noch immer staunend über diese weiße Welt schaute er sich um.
Da sah er sie.
Eine Gruppe Menschen, die langsam näher kamen. Sie hatten Knüppel dabei.
Er schüttelte den Kopf, kniff die Augen zu, öffnete sie wieder. Wenn er nur diese
schrecklichen Tagträume abschalten könnte, die ihn an zuhause erinnerten.
Die Gestalten kamen auf ihn zu, immer näher. Es waren Weiße. Einer schrie etwas. Er
verstand den Sinn der Worte nicht, doch plötzlich wurde ihm kalt.
Es war kein Traum.
Er spürte die Kälte, die vom weißen Schnee kam; und er spürte den Haß, der von den
Weißen ausging. Ausging von denen, bei denen er sich sicher fühlen wollte.
Immer näher kamen sie, schwangen drohend ihre Knüppel.
Er begann zu laufen, weg, nur weg, schnell weg. Er rannte. Jetzt rannten auch sie, jagten
ihn, hetzten ihn wie ein Tier. Schrien und johlten, kamen näher und näher.
Er keuchte, stolperte, fing sich wieder, lief um sein Leben wie schon so oft.
Er hatte Angst.
Wagte nicht, sich umzudrehen. Wußte nicht, wohin er lief. Wollte fliehen.
Wußte nicht, warum sie ihn jagten. Im Land der Sicherheit.
Nun waren sie ganz nah. Er hörte sie atmen, spürte förmlich ihre Schreie.
Er rutschte aus, fiel. fiel in den weißen Schnee, schlug auf dem schneebedeckten Boden auf.
Hörte ihr Triumphgeheul wie Sirenen.
Aufstehen, weg, nur weg von hier, dachte er.
Da waren sie über ihm. Fassungslos starrte er sie an.
Von unten die Kälte des weißen Schnees, von oben der Haß der weißen Knüppelträger. Er
wollte schreien, bitten, betteln, doch kein Laut kam über seine Lippen.
Da kamen sie, die Schläge, die brutalen Schläge, denen er hatte entfliehen wollen. Tritte,
Schmerzen, er krümmte sich, seine Augen flehten.
Blut tropfte von seinem Kopf, seinen Lippen, hinein in den Schnee, färbte ihn.
Der weiße, unschuldige Schnee wurde rot, rot von seinem Blut.
Endlich ließen sie von ihm ab, verschwanden.
Kälte, Schmerz. Sein Körper ein einziger Schmerz. Blut.
Und der Schnee fiel.
Er erhob sich mühsam auf die Knie.
Schmerzen.
Um ihn der Schnee. Der rote Schnee.
Er kroch auf allen Vieren, ein einsamer schwarzer Fleck vor den kahlen schwarzen Bäumen.
Glocken läuteten in der Ferne, läuteten den Weihnachtsmorgen ein.
Der weiße Schnee hatte seine Unschuld verloren. Er war rot geworden.

Der Schnee war rot.

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