Author Archives: Andrea Ha.

Diskussionslärm

Es ist Diskussionszeit. In den letzten Wochen ging es nicht nur im Netz heiß her. Da wurde sich gegen sprachliche Unsauberkeit in Bezug auf Krankheit und Behinderung gewehrt, da wurde aufgeschrien, da wurden Argumente ausgetauscht, ob Bücher dem heutigen Sprachgebrauch angepasst werden sollten, dürften oder gar müssten.

Die Diskussionen, die geführt werden, sind in vielen Punkten gut, richtig und nötig.
Ich habe lange überlegt, ob ich mich zu den einzelnen Themen äußern möchte. Auf den Mund gefallen bin ich nicht, aber manche Diskussion macht es einem nicht gerade leicht, mit einzusteigen. Ich beobachte, dass sich Diskussionen teilweise in eine Richtung entwickeln, die es dem Otto-Normal-Diskutanten schwer macht, sich zu äußern. Wer sich nicht messerscharf ausdrücken kann, wird schnell in eine Ecke geschoben, nämlich in die Ecke derer, die es einfach nicht verstanden haben, oder die in Wahrheit ja mit Schuld sind, weil sie eine simple oder gar pragmatische Ansicht vertreten und das große Problem gar nicht sehen. Mit allzu großem Sendungsbewusstsein, mit starkem missionarischen Eifer bringt man manche eher zum Schweigen als sie mit in die Diskussion zu holen und ihre Meinung anzuhören.

Man verliert leicht den Überblick, was denn jetzt der aktuelle Stand der Dinge ist, welche Worte und Ausdrücke nun korrekt sind, was man sagen soll, kann, muss. So mancher würde mehr Menschen erreichen mit dem, was er will, wenn er den verbalen Holzhammer einfach mal stecken ließe und das, was andere als Realismus und Bodenständigkeit bezeichnen, nicht einfach als Quatsch mit Soße abtun würde. Wer möchte denn noch ernsthaft mitdiskutieren, wenn er zu hören bekommt, als Nichtbetroffener wisse er doch gar nicht, wovon die Rede sei, und überhaupt sei die Welt ja viel komplizierter.

Wer definiert eigentlich, wann man Betroffener ist und mitreden kann?

Ich habe oft ein dickes Fell. Sprüche wie „Warum schminkst du dich, du hast doch einen Freund”, oder „Mit der Oberweite solltest du Schlagersängerin werden und nicht Klassik studieren” bringen mich je nach Laune dazu, entsprechend zu kontern, laut zu lachen oder denjenigen einfach stehen zu lassen.

Es gibt andere Situationen, die ich nicht so leicht wegstecke. Ich habe erlebt, dass sich „Freunde“ von mir abwandten, als ich eine depressive Episode hatte, und dass Menschen dachten, psychische Probleme seien ansteckend, und wer Medikamente nimmt, sei schwach.

Ich kenne Menschen, die sind sprachlich immer korrekt und auf dem neuesten Stand und behandeln andere doch von oben herab und bevormunden sie, weil sie ja wissen, was das Beste ist.

Ich habe „Die kleine Hexe” gelesen und erinnere mich kaum an Details. Ich habe „Nesthäkchen” und „Professors Zwillinge” gelesen. Bücher, in denen, wenn ich mich recht erinnere, keine dunkelhäutigen Menschen vorkommen, und die doch vom Frauen-, Familien- und Menschenbild so altmodisch und teilweise übergriffig sind, dass ich sie keinem Mädchen heute ohne Begleitung und Erklärung zum Lesen geben würde. Ich las „Bille und Zottel” und „Tina und Tini” und Karl May und Ludwig Thoma und Edgar Wallace.

Trotzdem ist, so hoffe ich, etwas aus mir geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil meine Eltern mir vorgelebt haben, wie wir Menschen gut miteinander umgehen können, dass wir füreinander einstehen, dass alle die gleichen Rechte haben und dass die Hautfarbe oder der Dialekt oder die Herkunft nichts darüber ausssagt, ob jemand ein netter Mensch ist. Dass wir alle wertvoll sind, und dass Normalität viele Facetten hat.

Sprache ist wichtig. Nachdenken über Sprache und sprachliche Gewohnheiten ist wichtig und kann sogar richtig viel Spaß machen.

Doch Sprache ist nicht alles. Und ich meine, wir sollten aufpassen, dass wir vor lauter Diskussionslärm die Zwischentöne nicht überhören.

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Kritikfähigkeit

Gestern hatte ich einen kurzen, inspirierenden Twitterdialog zum Thema, wie das denn wäre, wenn der eigene Chef twittern würde (und dann auch noch die Accounts seiner Mitarbeiter kennt, und sie den Account des Chefs) – dass es gut sein könne, wenn der Chef kritikfähig sei, und bei mangelnder Kritikfähigkeit liefe man Gefahr, dass das, was man so zwitschert, zum Problem wird.

Ich bin ja sehr für Transparenz in der Kommunikation. Allerdings gibt es Medien, die sich weniger eignen, um konstruktive Kritik anzubringen und um über Fehler und Schwierigkeiten zu sprechen. So toll Twitter ist, um sich auszutauschen, so hinderlich ist die Zeichenbegrenzung, wenn’s wirklich zur Sache geht. Und auch und gerade bei einem kritikfähigen Chef würde ich persönlich einen anderen Weg wählen, um auf etwas hinzuweisen.

Ich führe ein kleines, engagiertes, tolles Team. Ob ich tatsächlich kritikfähig bin, mag mein Team entscheiden, ich gebe mir jedenfalls Mühe. Aber abgesehen von der Tatsache, dass mein Team meinen eher privaten Twitteraccount und auch dieses eher private Blog vermutlich gar nicht kennt, würde ich Dinge, die im Team zu klären sind, nicht in der Öffentlichkeit besprechen wollen. Teaminterna gehören nicht ins Netz, weder bei Twitter, noch auf anderen Plattformen. Ein offenes Ohr sollte ich als Führungskraft haben, mehr noch, mindestens zwei offene Ohren. Dazu hatte ich hier auch schon einmal gebloggt.

Dennoch, egal, über welchen Kanal ein Mitarbeiter eine ihm wichtige Sache anspricht, als Führungskraft sollte ich soviel Rückgrat haben, mir alles, auch das Unangenehme, erst einmal anzuhören, und den Mitarbeiter nicht dafür anzumotzen, dass er sich getraut hat, etwas zu sagen. Sonst kommt eines Tages tatsächlich der Punkt, dass die Führungskraft irgendwo öffentlich lesen kann, was die Mitarbeiter von ihr halten, und vom Arbeitgeber, und überhaupt. Und das kann, so meine ich, nicht das Ziel sein.

In diesem Sinne: frohes Diskutieren, Zuhören, Neues lernen und Lösungen finden!

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Diversity

Diversity is a buzzword, no doubt about it. Some companies even have diversity managers to ensure their workforce is as diverse as our world. I don’t want to write about whether it’s a good thing to have those managers in a company, still, I keep wondering whether we need roles like this in the workplace, and whether daily life is influenced by this development at all.

Recently I wrote on twitter that diversity is an asset, not a liability. I can only repeat this over and over again.

We’re all different, and „being normal“ is just a snapshot of one moment in time.

We’re all human and shouldn’t judge people by their physical ability or their looks or their communication style or their age or their background.

I want to live in a world where people don’t need to be afraid to say that they have depression, that they’re on the autistic spectrum, that they don’t have a job, that they’re „not normal“. And although I don’t have any new year resolutions, it’s one of my goals to continue working towards this kind of world I want to live in.

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Uncle Bob

My Uncle Bob had been one of the most interesting persons I ever knew, although he kept saying the only interesting thing about him was his nose.
And, thinking about it, Uncle Bob’s nose had been a distinctive feature of his face.
His nose had been big.
And when I say big, I really mean big.
Not that Uncle Bob ever had a problem with the size of his nose.
He had been quite content with his life.
And with his nose.
He had been a tall man, never without a cigar.
He used to say that the Lord had given him a big nose to smell the wonderful scent of a havanna. And to show the Lord that he appreciated this gift of a big nose, he smoked double coronas.
His cigars had been as big as his nose.
He also used to say that his nose was the only reason why they had come down and taken him with them. They had eventually discovered that he was of no use to them and had allowed him to leave.
But they had wanted his nose.
Not that he would ever have given his nose to them.
A man without a nose is not complete.
And you can say what you like about my Uncle Bob, but he definitely had a point there.
A man without a nose is not complete.
But anyway, Uncle Bob said, they had come down and taken him with him.
He said it all started like a dream. He had not realised at first what was happening to him. Besides, mind you, he had just come home from the pub, and maybe he had been drunk. He said he couldn’t remember.
And then, suddenly there had been this light, and he found himself in a room, not being able to move, lying on a table, and there they were.
Standing around him, pointing at his nose, and although he had not understood a word of what they were saying, he was sure that the only thing they wanted was his nose.
His nose – he was so proud of his nose, he said, and he wouldn’t let them take it away from him. So he pretended to fall asleep, and the next morning, he woke up in his own bed, his nose still with him and everything seemed to be alright.
But anyway, Uncle Bob said, since they had come and taken him with them, he was able to hear strange sounds and noises and he was sure that it was them talking about him and how they’d finally manage to get hold of his nose.
Interestingly enough, Uncle Bob only heard these sounds and noises when he was really drunk, and so we all thought he’d made it up.
It was a good story, though, and it helped me come to terms with the fact that my nose was almost as prominent as Uncle Bob’s. I sometimes even suspected that he was my father and that the man whom I knew as my father had just been a bystander. But never mind.
Uncle Bob had been a great story-teller in his time, and when he died, I missed him terribly.
Saturday nights in the pub never were the same again since he had died, and although sometimes jokes were told about him and his nose, it slowly died away.
And then I went away.
I left home to start work somewhere else, and I took my big nose with me.
Every morning, when I looked in the mirror, I thought of Uncle Bob and his aliens, and it put a smile on my face.
I was grateful that Uncle Bob had let me participate in his story.
One night, I went to bed early.
I felt very tired, and I fell asleep the very moment my head touched the pillow.
I dreamed.
I dreamed of a light, that suddenly appeared in my bedroom, and I dreamed of a spaceship.
I dreamed of weird creatures standing around me, talking about my nose.
And in my dream, I thought of Uncle Bob and was not afraid.

But when I tried to wake up and open my eyes, I suddenly realised that Uncle Bob had been right all the time.

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Der letzte Tag des Jahres

Wenn man heute mit jemandem in Streit geraten möchte, spricht man am besten die Schreibweise des heutigen Tages an und diskutiert über y oder i oder ü.
Möchte man den Tag geruhsam verbringen, kann man einfach vom Altjahresabend sprechen.

Wie auch immer es sein mag, ich wünsche allen einen wunderbaren Tag und einen guten Start ins neue Jahr!

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Rauhnächte

Nie werde ich
den bangen Blick
meiner Großmutter
vergessen

als ich
in meiner jugendlichen
Unbeschwertheit

irgendwann
zwischen Weihnachten
und Dreikönig

die schönen weißen
Festtagstischdecken

in die Waschmaschine steckte
und sie
wusch.

Kind!
sagte die Großmutter
und ihre Stimme
zitterte.

Weißt du nicht?
Dass in den Rauhnächten
das Tor
zwischen den Welten
weit offen steht?

Dass sich in der Wäscheleine
die wilde Jagd
verfängt
und dass das weiße Tuch
zum Leichentuche
wird?

Ach Oma!
Noch ‘n Schnäpsken.
Noch ‘n Punsch
Zum Bersten gefüllte Kühlschränke
und Bäuche.

Kein Wunder,
dass mancher da Gespenster sieht.

Obwohl…
wenn der Wintersturm
sein einsames Lied
singt

und die Scheunentür
leise knarrt

könnte man schon
annehmen…

Ach nein.

Und die Kerzen
flackern.

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Der Liebesbrief

Heute mal wieder eine kleine Geschichte – Menschen mit zartem Gemüt oder ohne Sinn für den Wahnsinn des Lebens lesen bitte vorsichtig. Es geht nicht um Romantik und Blümchen 😉

„Gestern wäre ich in der Stimmung gewesen, einen zu schreiben. Ich habe es nicht getan. Warum, weiß ich nicht. Ich war so richtig schön melancholisch geworden nach der Lektüre dieses Buches, in dem es um Liebe ging, und niemand war getrennt von seinem Liebhaber, so wie ich. Ich hätte mich wirklich hinsetzen sollen, und einen Liebesbrief schreiben. Denn heute fällt es mir ziemlich schwer, mich wieder in diese Stimmung hineinzuversetzen. Warum eigentlich? Ich meine, wenn ich gestern genauso stark verliebt war wie heute, das heißt, wenn ich heute immer noch so stark verliebt bin wie gestern, sollte das doch eigentlich ein Leichtes für mich sein. Bedeutet die Tatsache, daß ich heute nicht in der Stimmung bin, einen Liebesbrief zu schreiben, daß ich nicht mehr liebe? Daß ich nicht mehr so sehr liebe wie gestern? Daß die Liebe etwas Vergängliches ist?
Gut, daß die Liebe vergänglich ist, bleibt eine Tatsache. Niemand liebt ständig und mit der gleichen Intensität. Oder doch?
Wenn das so wäre, dann gäbe es keine Anwälte, die sich auf Scheidungen spezialisiert haben.
Ich hätte wirklich gestern versuchen sollen, einen Liebesbrief zu schreiben. Ich habe ja wirklich lange genug darüber nachgedacht, ob ich es tun sollte, aber warum ich es letztendlich nicht getan habe, kann ich mir nicht erklären.
War es Faulheit?
Wenn man zu faul ist, einen Liebesbrief zu schreiben, liebt man dann nicht genug?
Welche Leute schreiben eigentlich Liebesbriefe?
Was ist ein Liebesbrief?
Muß ein Liebesbrief immer eine wirkliche Liebeserklärung enthalten, so mit vielen Beteuerungen, die sich immer um das Wort Liebe ranken? Kann ein Liebesbrief nicht auch einfach ein Brief an den Liebsten sein, an den man einfach einen besonderen Satz anfügt, wie „Ich liebe Dich“.
Aber ist dieser Satz wirklich noch so besonders?
Die meisten Leute verwenden ihn ja fast schon, ohne darüber nachzudenken.
Ich sehe mich außerstande, heute einen Liebesbrief zu schreiben.
Natürlich, wenn ein Liebesbrief einfach nur die Worte „Ich liebe Dich“ enthalten soll, dann ist es einfach.
Aber wenn es mehr sein soll, wenn man mehr Poesie haben möchte, mehr Romantik, dann wird es schon schwieriger.
Gestern wäre ich in der Stimmung gewesen.
Heute ist es zu spät.
Überhaupt etwas Seltsames, so ein Liebesbrief.
Muß er mit Tinte geschrieben werden, und einem Füllhalter von guter Qualität? Genügt Bleistift? Darf es etwas so profanes wie ein Kugelschreiber sein? Oder hat die Farbe eine Bedeutung?
Rot.
Rot wie die Liebe, so sagt man.
Rot wie Blut.
Davon hätte ich ja genug.
Jeder Mensch besitzt einige Liter.
Wie viel es wirklich ist, weiß ich erst seit heute.
Was mußtest Du auch in mein Küchenmesser laufen.
Noch dazu, wo es auf der Höhe Deines Bauches war.
Du hättest ja daran vorbeilaufen können.
Aber Du schienst auch wissen zu wollen, wieviel Blut Du in Dir hast.
Und Briefe wolltest Du von mir, Briefe, in denen ich Dir von meiner Liebe erzählte.
Gestern, ja, gestern hätte ich einen solchen Brief schreiben können.
Da warst Du weg, da war es schön, von Dir zu träumen, und Dich so zu machen, wie du nie gewesen bist.
Ich hätte Dich gerne anders gehabt.
Jetzt habe ich Dich gar nicht mehr.
Du sagst nichts.
Ich glaube, Du bist tot.
Erwartet ein Toter einen Liebesbrief?
Erwartest du immer noch, daß ich Dir einen schreibe?
Du hast immer viel von mir erwartet.
Ich glaube, ich hätte Deine Erwartungen nie erfüllen können, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Ich wenigstens habe nicht versucht, Dich zu ändern. Ich habe immer nur geträumt, wie du sein könntest.
Aber glaube mir, ich habe nie davon geträumt, Dich so zu sehen.
Zusammengekrümmt auf dem Küchenfußboden.
Wer putzt eigentlich die Schweinerei weg?
Natürlich, das muß ich wieder machen.
Zum Scheidungstermin hätte ich ja auch erscheinen sollen, da ging es auch nicht ohne mich.
Aber ich bin nicht gekommen.
Scheidung.
Also wirklich.
Du hast Dich bei jemand anderem beschwert über mich.
Hast gesagt, ich sei verrückt.
Daß ich nicht lache.
Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, daß ich zu diesem Termin gekommen wäre? Ich habe doch noch nie Termine eingehalten.
Das hast Du mir oft genug vorgeworfen.
Und jetzt?
Meine Güte, was soll ich jetzt nur machen?
Irgend jemand wird mir wieder Fragen stellen, die ich nicht beantworten will.
Dumme Fragen.
Solche Fragen, wie:
Warum schreibst du mir eigentlich keinen Liebesbrief?
Warum eigentlich?
Hier hast Du ihn.
Hoffentlich bist Du jetzt zufrieden.“

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Kleines Jubiläum

Heute vor einem Jahr habe ich hier den ersten Beitrag geschrieben.
Viel ist in diesem Jahr passiert, ich habe einiges veröffentlicht, vieles verworfen, habe Spaß am Schreiben gehabt und manchmal auch überhaupt keine Lust.

Über jemanden, der keine Lust zum Schreiben hat, habe ich im Herbst 1999 mal geschrieben.
Hier ist die Geschichte der Schreibblockade.
Viel Spaß beim Lesen!

„Es ist mal wieder Zeit für eine neue Geschichte, sagte sein Verleger.
Warum schreibst du eigentlich nicht mehr? sagte seine Frau.
Ich vermisse das Klappern der Schreibmaschine, sagte sein Sohn.
Ich brauche neue Schuhe, sagte seine Tochter.
Trink noch einen, sagte sein Zechkumpan.
Man hat schon lange nichts mehr von ihm gehört, schrieb sein schärfster Kritiker.
Warum schreibst du mir keine Briefe mehr? beschwerte sich seinen Mutter.
Früher hast du jeden Tag geschrieben, stellte sein Freund fest.
Wir werden steif! meldeten seine Finger.
Ich werde löchrig, stöhnte sein Gehirn.
Und er bekam Kopfschmerzen.
Jeden Morgen, wenn er aufstand, sah er das erwartungsvolle Gesicht seiner Frau.
Vielleicht könntest du dich heute mal wieder ins Arbeitszimmer an die Schreibmaschine setzen, sagte sie und stellte ihm eine Tasse Kaffee hin. Ich sorge auch dafür, daß du nicht gestört wirst.
Ruhe bitte.
Keine Störung.
Hier sitzt ein kreativer Kopf.
Hier, genau hier, bei der Arbeit.
Bei der Arbeit.
Vor langer Zeit traf das zu.
Aber jetzt, jetzt konnte er nicht mehr.
Er schaffte es einfach nicht, ins Arbeitszimmer zu gehen, wo die Schreibmaschine auf ihn wartete.
Hunderte von Seiten waren noch nicht geschrieben.
Wir müssen über Ihr Konto sprechen, sagte der Sachbearbeiter bei der Bank und seufzte.
Stell dich nicht so an, Papa. Du bist ja wie ein kleines Kind, warf seine Tochter ihm vor, und fügte hinzu, daß sie unbedingt neue Schuhe brauche.
Die Schreibmaschine sah ihn anklagend an, wenn er die Tür zum Arbeitszimmer einen Spalt aufmachte. Sie stand auf dem Schreibtisch, und ein weißes Blatt Papier war bereits eingespannt. Wartete auf ihn.
Machte sich über ihn lustig.
Hielt ihm einen Spiegel vor.
Sieh nur, so leer wie ich sind deine Gedanken.
Du hast keine Ideen mehr.
Du hast keine Energie.
Dein kreativer Brunnen ist versiegt.
Du lebst in einer Wüste, keine Oase weit und breit.
Vielleicht solltest du dir eine Mätresse zulegen, schlug sein Saufkumpan vor.
Wann hattest du zum letzten Mal Verkehr? fragte sein Freund und wurde rot.
Herr K., Ihr Vertrag sieht vor, daß Sie uns regelmäßig etwas vorlegen, mahnte sein Verleger.
Damit wir es verlegen können.
Er schien seine Kreativität verlegt zu haben.
Wenn er nur wüßte, wo er sie hingelegt hatte.
Die Kopfschmerzen wurden stärker.
Das, was er als letztes geschrieben hatte, hatte alles bisher dagewesene in den Schatten gestellt.
Er würde nie mehr etwas so Geniales zu Papier bringen können.
Überhaupt war er doch nur ein Stümper.
Wußte nicht viel vom Handwerkszeug eines Schriftstellers.
Kannte sich in der Weltliteratur nicht aus.
Hatte nur irgendwann beschlossen, daß Schreiben Spaß machte, mehr Spaß, als jeden Tag in ein Büro zu gehen und sich mit Sachen herumzuärgern, die ihn nicht interessierten.
Und es war so einfach, anfangs zumindest.
Die Ideen kamen, manchmal mehr, als ihm lieb waren.
Dann sammelte er sie in einem Heft, und wenn er eine benutzt hatte, strich er sie aus.
Es gab bald keine neuen Ideen mehr in seinem Heft.
Und er fragte sich, ob er während all dieser Jahre das Falsche getan hatte, ob sein Traum in Wahrheit nicht etwas ganz anderes gewesen war, als hauptberuflich zu schreiben.
Aber was?
Er wußte, wenn er herausfand, was es war, dann würden seine Probleme gelöst sein.
Aber du wolltest doch Schriftsteller sein, seit ich dich kenne, wunderte sich seine Frau und führte ihn zum Arbeitszimmer.
Setz dich wenigstens hin und brüte an deinem Schreibtisch. Dann muß ich nicht immer dein nachdenkliches Gesicht sehen.
Und er setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte aus dem Fenster.
Schon wieder war es Herbst.
Als er das letzte Mal hier gesessen hatte, war es auch Herbst gewesen, aber das war schon viele Monde her.
Ach ja, der Mond.
Ein Gefährte in einsamen Nächten, wenn er nicht schlafen konnte, und wenn seine Finger sich weigerten, die Schreibmaschine zu berühren.
Vielleicht würde ihm ein Computer helfen.
Als er ging, um einen Computer zu kaufen, hielten ihn alle für endgültig übergeschnappt.
Wozu brauchst du einen Computer, wenn du eh nicht arbeitest, fragte seine Frau.
Können wir im Internet surfen? wollten seine Kinder wissen.
Aber er schloß sich im Arbeitszimmer ein.
Der Bildschirm starrte ihn an, und er starrte zurück.
Stundenlang.
Was hatte er als Kind werden wollen?
Er konnte sich nicht erinnern.
Geh doch mal zum Arzt, riet ihm sein Freund.
Herr K., wir warten auf Nachricht von Ihnen, schrieb sein Verlag.
Sie wurden langsam ungeduldig, alle wurden ungeduldig.
Und auch seine Kopfschmerzen wurden ungeduldig.
Wozu sind wir eigentlich da, schienen sie zu fragen.
Wir können dich nicht mehr quälen, du hast dich schon zu sehr an uns gewöhnt.
Und sie verschwanden.
Zunächst vermißte er sie, aber dann wandte er sich anderen Dingen zu.
Er wollte die Löcher in seinem Gehirn flicken.
Er mußte herausfinden, was der Traum seiner Kindheit gewesen war.
Er suchte den Traum seiner Kindheit im Internet.
Seine Frau beschwerte sich über die hohe Telefonrechnung, aber er wurde von einer seltsamen Zufriedenheit erfüllt.
Er fühlte sich gut.
Und manchmal meinte er, ein bißchen von der Energie zu spüren, die er noch vor einem Jahr in sich gehabt hatte.
Als er ein Junge gewesen war, hatte man gerade mit der Entwicklung von Computern begonnen, und nun war es schon so weit gekommen, daß selbst Laien eine solche Maschine bedienen konnten.
Er holte sich Bücher über Computer aus der Bibliothek.
Er las stundenlang und vertiefte sich in Schaltpläne.
Er redete mit seinem Computer.
Seine Frau schlief im Gästezimmer.
Trink noch einen, sagte sein Saufkumpan, nun sei doch nicht so.
Ist der Computer wichtiger als ich? wollte sein Freund wissen.
Der Computer war da, wann immer er ins Arbeitszimmer kam.
Er wollte ihn beherrschen, er wollte der Sieger sein.
Genauso, wie er Worte beherrscht hatte.
Er begann, den Computer zu programmieren.
Ich hätte nicht gedacht, daß du das kannst, wunderte sich seine Frau.
Mein Vater kann Computer programmieren, erzählte sein Sohn seinen Freunden.
Kaum zu glauben, was diese Maschine aus dir gemacht hat, sagte sein Freund.
Wir stellen Ihnen hiermit ein Ultimatum, schrieb der Verlag.
Eines Morgens wachte er auf und verspürte einen unwiderstehlichen Drang, das Textverarbeitungsprogramm aufzurufen.
Er begann zu schreiben.
Er schrieb von den verlorengegangenen Träumen eines kleinen Jungen.
Seine Frau begann, sich wieder Sorgen zu machen.
Er hatte kaum Zeit zum Essen.
Seine Finger taten ihm weh, und dennoch konnte er nicht aufhören.
Eine unsichtbare Macht hielt ihn fest, zwang ihn zu schreiben.
Und er genoß es.
Er genoß es wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Sein Kindheitstraum hatte sich zurückgezogen und ließ ihn in Ruhe.
Die Worte fanden wieder den Weg zu ihm und sein Verleger schrieb enthusiastische Briefe.
Sein Sachbearbeiter bei der Bank sprach wieder mit ihm.
Sein Freund kam wieder regelmäßig vorbei und kommentierte den Fortgang der Arbeit.
Und sein Saufkumpan schmiß eine Runde nach der anderen.
Danke für die neuen Schuhe, sagte seine Tochter.
Möchtest du noch einen Schluck Kaffee? fragte seine Frau.
Und er fragte sich, ob er noch normal war.“

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Advent, Advent, ein jeder rennt?

Noch eine Woche bis Heiligabend! Für die einen (meist sind sie unter 12 Jahren alt) eine herrliche Aussicht, für die anderen (meist über 18 Jahre alt) eine Zeit voller Stress und Hektik. Ich höre kaum, dass jemand die Adventszeit genießt. Da wird von Weihnachtsfeier zu Weihnachtsfeier gehetzt, da wird eingekauft, als ginge die Welt unter (nein, ich glaube nicht daran, dass das zu meinen Lebzeiten tatsächlich geschieht. Aber das ist ein anderes Thema), da werden Geschenke gejagt und kiloweise Plätzchen gebacken. Viele klagen über Stress, und ich frage mich: muss das sein?

Für mich ist die Adventszeit immer noch die staade Zeit, also, die stille Zeit. Ja, ich habe auch mal hektische Momente, weil z.B. im Job die Zeit nicht stehen bleibt und es für manche Themen einfach kein Weihnachten gibt, sondern nur Abgabetermine, aber ich versuche es insgesamt so ruhig wie möglich angehen zu lassen. Dazu gehört auch, dass ich mich nicht vom allgemeinen Tempo mitreißen lassen möchte. Ich besorge Geschenke für die Menschen, die mir wichtig sind. Aber ich mache das mit Ruhe und im Wissen, dass es wichtigere Dinge gibt als viele Päckchen unter oder neben dem Baum.

Die staade Zeit ist mir wichtig. Einfach mal sitzen und dem Kaminfeuer zuschauen. Adventslieder singen. An Menschen denken, denen es nicht so gut geht. Kuscheln. Bücher lesen. Gedanken machen. Plätzchen backen (zwei Sorten müssen genügen). Nette Worte mit den Nachbarn wechseln. Tagebuch schreiben. Und oft auch mal gar nichts tun.

Ganz oft habe ich in den letzten Tagen gelesen, dass sich Menschen die Adventszeit aus der Kindheit zurückwünschen, die voller Geheimnisse und Magie war. Ich denke, dass diese Zeit immer noch da ist, für jeden von uns. Wenn wir innehalten und die Ruhe und die Magie wieder zulassen, der geheimnisvollen staaden Zeit Raum geben, und die Erlaubnis, dass wir uns tief in uns drinnen einfach freuen dürfen, dann kommt diese Adventszeit wieder und der Glanz, der sie begleitet, strahlt für uns alle.

In diesem Sinne wünsche ich eine behagliche, wohlige und gesegnete staade Zeit!

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Musik zum Wohlfühlen und Nachdenken

Einer meiner Lieblingsliedermacher (wenn ich ihn denn so nennen darf) ist Wolfgang Buck (http://www.wolfgang-buck.de)
Als echdder Frangge spielt er hauptsächlich dort, aber manchmal fährt er ein Stück weiter und gibt ein Konzert in Hessen. Und dann bin ich dabei.

Zu Franken und dem fränkischen Dialekt habe ich ein besonderes Verhältnis. Es ist schwierig zu erklären, wo meine Heimat tatsächlich ist, so oft bin ich umgezogen in meinem Leben, aber Franken ist und bleibt Teil meiner Heimat und auch Teil meiner Geschichte. Ich mochte die Lieder von Wolfgang Buck, seit ich ihn vor vielen Jahren das erste Mal in Bayreuth im Gemeindehaus erlebte, als er noch als singender Pfarrer angekündigt war. Frömmelnd waren und sind seine Lieder nie, die Lieder, die vom Glauben oder von der Hoffnung handeln, sind einfach nur voller Poesie und Zuversicht, und manchmal auch, wie das im Leben ist, spürt man auch ein wenig Zweifel.

Dann gibt es kritische Lieder in Wolfang Bucks Repertoire, Lieder, die Fragen stellen, Lieder, in denen er unbequeme Wahrheiten besingt.

Und dann gibt es diese wunderbaren, wahren, überzeichneten, liebevollen und warmen Lieder übers fränggische Leben, die ich so mag, und die für mich immer ein Stück Zuhause spiegeln, auch wenn der Dialekt, den ich spreche, wenn mir nach Fränggisch ist, ein klein wenig anders ist als der vom Wolfgang Buck.

Warum ich das alles schreibe? Weil es jetzt eine neue CD gibt, an der ich mich nicht satthören kann, und weil der Wolfgang Buck einer der besonderen Menschen ist, der auch schwierigen und angstmachenden Themen wie Depressionen, Krankheit und Sterben ein Gesicht und eine Geschichte gibt und weil es wichtig ist, dass auch diese Geschichten erzählt und besungen werden.

Die Lieder sind übrigens auch für Nichtfranken bis auf wenige Ausnahmen gut verständlich. Wer mal reinhören mag, hat auf der Website von Wolfgang Buck Gelegenheit dazu.

Ich steck jetzt wieder die CD in den Plattenspieler 😉

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